Mit Gerichten sei es ein bisschen wie mit Gedichten, sagt die Köchin Chelsea Turowsky. Man wisse nie ganz, wann es fertig ist. Wir sprachen mit ihr über opulent gedeckte Tische, Foodstyling und das Geschirr unserer Großeltern.

Es ist nicht leicht, die New Yorkerin und Wahlberlinerin Chelsea Turowsky in eine Schublade zu stecken. Wenn ihr Kochstudio Gerichte für die angesagtesten Events der Mode- und Designbranche entwickelt, gleichen diese oft kleinen Kunstwerken. Turowsky faltet schmale Gurkenstreifen zu simplen Schnecken und legt sie in große Muschelteller – oder kombiniert Gambas mit einer Creme aus reduzierter Kokosnuss, Zitronengras, Ingwer und frischem Knoblauch. Dazu reicht sie dehydrierte Banane und ein in Olivenöl gebratenes Bouquet aus rosa Radicchio mit Kapuzinerkresse, Zitronenmelisse, Portulak und Koriander.

Man sieht: Chelsea Turowsky liebt das Detail. Man könnte sogar meinen, dass man an ihren Gerichten erkennt, dass die Amerikanerin einst Lyrik studiert hat – auch ihren Antworten wohnt bisweilen eine poetische Tiefe inne. Die Eröffnung eines eigenen Restaurants hat sie bisher übrigens nicht gereizt; lieber bietet sie in ihrem Berliner Studio Velella kuratierte Omakase-Abende an (Omakase bedeutet, dass die Köchin das Menü vorgibt). Wann immer sie kann, folgt Turowsky der Sonne – nach Florida oder an die langen Küsten Portugals.

Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Ina Niehoff 2 decohome.de

©Ina Niehoff

Opulent gedeckte Tische und kunstvoll arrangierte Gerichte: Foodstyling scheint eine neue, kreative Blütezeit zu erleben. Das mag banal klingen, doch wie stellt man sicher, dass ein Gericht nicht nur gut aussieht, sondern auch schmeckt?

Ästhetik soll den Geschmack unterstützen, nicht mit ihm konkurrieren. Obwohl die visuelle Präsentation von Essen gerade eine Hochphase erlebt, steht sie für mich nicht im Mittelpunkt. Für eine ältere Generation von Köchen wie meinen Vater, der schlichte, aber geschmacklich überwältigende Fischgerichte serviert, oder für Traditionalisten der modernen Küche mag es befremdlich wirken, Ästhetik dem Geschmack vorzuziehen. Ich stelle mir ein Gericht gern mit geschlossenen Augen vor: Welche Erinnerungen weckt der Geschmack? Essen soll ja nicht nur gesehen, sondern genossen werden. Ich verspüre an diesem Punkt meiner Karriere keinerlei Wunsch, den Geschmack für ein Foto zu opfern.

Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Marie Staggat 9 decohome.de

©Marie Staggat

Wie konzipieren Sie ein Gericht?

Oft arbeite ich mit Erinnerungen und prägenden Momenten, die mich berührt haben und die ich teilen möchte. Mein Medium ist die Speisekarte, ein Teller, ein Gericht. Etwa als ich am Toten Meer eine Banane gegessen habe: Ich denke über die Aromen dieses Moments nach (in diesem Fall Salz, Banane, Meer, Tabak), und sie bilden den Ausgangspunkt für die Kreation. Dann bereite ich verschiedene Varianten zu, bis der Geschmack so nah wie möglich an das Gefühl dieser Erinnerung herankommt. Die Optik entwickelt sich in der Regel organisch aus dem Kochprozess heraus.

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©Marie Staggat

Welches einfache Essen begeistert sowohl das Auge als auch den Gaumen?

Aguachile ist für mich vielleicht das perfekte Gericht: Es erfordert nur grundlegende Kochfähigkeiten und hochwertige Zutaten. Oder ich mache Leche de Tigre, eine Variation von Ceviche. Da ich den Großteil meines Lebens in Küchen mit süd- und mittelamerikanischen Kolleg:innen gearbeitet und meine Zwanziger in Kalifornien verbracht habe, haben sich mein Geschmackssinn und meine ästhetische Wahrnehmung ganz natürlich an den Strukturen der lateinamerikanischen Küche und ihrer Kraft und Sinnlichkeit orientiert.

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©Marie Staggat

Lange Zeit war der Tisch eher minimalistisch gedeckt, doch in den letzten Jahren kehrte die opulente Ästhetik zurück – fast wie in alten Stillleben. Wie erleben Sie die neue Opulenz im Foodstyling?

Vor ein paar Jahren hätte ich Luxus in Bezug auf Trends in der Tischkultur ganz anders definiert, mit deutlichen Anspielungen auf klassische europäische Opulenz – nicht nur ästhetisch, sondern auch kulinarisch. Das Bankett schien zurückzukehren. Ich war mit Blick auf Verschwendung eher skeptisch: Ein Esstisch ist kein Gemälde, sondern reale Ressourcennutzung – in diesem Sinne ist er auch politisch. Heute erlebe ich mehr Feingefühl, eine bewusste Materialwahl, eine raffiniertere Definition von Luxus. Vintage-Silber und Chrom treten in den Hintergrund, stattdessen schaffen Food Artists eigene Objekte, Möbel und Gefäße. Verweise auf die Vergangenheit – wie etwa Früchte als Dekoration – bleiben, werden aber selektiver und überlegter eingesetzt.

Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Gabrielė Mišeikytė for Reform 1 decohome.de
©Gabrielė Mišeikytė für Reform
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Gabrielė Mišeikytė for Reform 1 decohome.de
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Marie Staggat 8 decohome.de
©Marie Staggat
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Marie Staggat 8 decohome.de
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Lucy Deverall for Alessi and Design Hotels 2 decohome.de
©Lucy Deverall für Alessi x Design Hotels
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Lucy Deverall for Alessi and Design Hotels 2 decohome.de
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Laura Martinova 6 decohome.de
©Laura Martinova
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Laura Martinova 6 decohome.de
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Lucy Deverall for Alessi and Design Hotels 3 decohome.de
©Lucy Deverall für Alessi x Design Hotels
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Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Gabrielė Mišeikytė 5 decohome.de
©Gabrielė Mišeikytė
Foodsytling Chelsea Turowsky Credit Gabrielė Mišeikytė 5 decohome.de

Wie würden Sie gerade den Tisch dekorieren?

Ich plädiere für eine Rückkehr zur Eleganz der Förmlichkeit. Sie ist keine vergessene Kunst – selbst in einem eher legeren Alltag können wir die Schönheit traditioneller Tischkultur neu entdecken. Makellos weiße Servietten, sorgfältig gefaltet, vielleicht zu kunstvollen Schwänen. Indem wir zum Beispiel das alte Besteck unserer Großeltern verwenden, verleihen wir der Tafel eine persönliche Note und bringen unsere eigene Geschichte mit ein. Für das Menü lohnt ein Blick auf alte Stillleben: ein ganzer Fisch, reife Birnen, knuspriges Baguette. Da das Essen nicht nur eine Augenweide, sondern auch ein Genuss sein soll, sollte die Auswahl der Zutaten mit Bedacht und Freude erfolgen.

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©Lucy Deverall für Alessi x Design Hotels

 

Instagram @chelseaturowsk
Interview: Valerie Präkelt

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