Immer wieder grüßt Italien mit seiner unbemühten Leichtigkeit. Und immer wieder stellt sich die Frage, was diese eigentlich ausmacht. Während manches niemals gänzlich greifbar sein wird, gibt das Buch „Italian Interiors“ von Laura May Todds einen durchaus tiefgründigen Einblick in das, was den italienischen Stil interiordesigntechnisch definiert: Persönlichkeit, Geschichte und eine charmante Unvollkommenheit, die Räume lebendig werden lässt. Eine Lese-Empfehlung!

Monselice (Venetien), Carlo Scarpa & Tobia Scarpa (Foto: Danilo Scarpati)
Die Frage, was den italienischen Wohnstil ausmacht, beschäftigte den Mailänder Architekten und Designvisionär Gio Ponti bereits 1928. Seine Antwort: Das sechsseitige Essay „La Casa all’Italiana“ in dem er seine Vision von Architektur, Design und dem kulturellen Selbstverständnis Italiens darlegte. Fast ein Jahrhundert später begibt sich die kanadische Autorin und Designjournalistin Laura May Todd mit ihrem Buch „Italian Interiors“ auf eine ähnlich poetische wie visuell spektakuläre Spurensuche. Und öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben (oder allerhöchstens zur Milan Design Week Einlass gewähren).
Zuhause ist nicht nur ein Ort – es ist eine Haltung

Mailand, Gio Ponti & David/Nicolas (Foto: Sarah Magni)
Ob Mailand, Venedig oder in den Hügeln Umbriens; Apartments, Stadtvillen oder Landresidenzen: Jedes der 50 von Todd kuratierten Projekte ist ein eigenständiges Statement. Ihre Bewohner reichen von Architekturikonen wie Ponti, Carlo Scarpa oder Massimiliano Locatelli über Modedesigner, Künstler und kunstverliebte Sammler. Was sie alle eint, ist ihre kompromisslose Subjektivität. Denn in Italien, so scheint es, ist das Zuhause nicht nur ein Ort, sondern eine Haltung. Es ist Bühne, Archiv, Experimentierfeld und Zuflucht zugleich.

Venedig, Vincenzo De Cotiis (Foto: Salva López)
Wie La Filanda, eine ehemalige Seidenweberei am Comer See, umgebaut vom Regisseur Luca Guadagnino. Dort treffen senfgelbe Textilpaneele auf grüne Tonnengewölbe, Mahagoni-Stühle von Kaare Klint auf Objekte von Hermès und formen so eine Inszenierung aus Licht, Farbe und handwerklicher Finesse. Oder auch Carlo Mollinos geheimnisvolles Pied-à-Terre in Turin, das an eine surrealistische Bühne erinnert.

Turin, Carlo Mollino (Foto: Stefan Giftthaler)
Geschichte, Materialität, Emotion
Jedes der gewählten Interiors ist ein Kaleidoskop aus Geschichte, Materialität und Emotion. So lebt der Architekt Vincenzo De Cotiis in einem venezianischen Palazzo mit Kunstwerken und Patina im ständigen Dialog zwischen Barock und Brutalismus. Auf einer abgelegenen Insel wiederum ließ die Louis-Vuitton-Designchefin Francesca Amfitheatrof ihr Haus aus dem Lavagestein herausmeißeln. Futuristisch, höhlenartig und dennoch zutiefst italienisch.
Das Faszinierende: Trotz aller Unterschiede zieht sich ein roter Faden durch die Wohnungen und Häuser – der Mut zum Unkonventionellen, zur Imperfektion, zur Seele im Raum. Oder wie Todd es sagt: „Ein italienisches Haus ist kein Konzept, es ist ein Gefühl.“