Ester Bruzkus ist eine mustergültige Architektin und zweifelsohne eine der wichtigsten Innenarchitektinnen Deutschlands. In unserem Interview sprachen wir mit ihr über das Infragestellen von Gewohnheiten, die Regeln der Gestaltung und warum Stil vom Charakter abhängt. 

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Ester Bruzkus

Frau Bruzkus, Sie möchten Gewohnheiten infrage stellen?
Meine eigenen und die der anderen, ja. Ich erlebe oft eine eher schockierte oder überraschte erste Reaktion auf meine Arbeiten. Erst mit der Zeit gewöhnt man sich. Ich habe in meiner Laufbahn häufig erlebt, dass Leute es nicht wagen, einen Schritt weiterzugehen. Ich genieße es, dass man das im Hotel eher kann.

Verunsichert es, wenn die erste Reaktion eher negativ ist?
Nein, nicht wirklich. Denn ich möchte nichts entwerfen, was jeder schon kennt. Weil es dann schon bald wieder hinfällig ist. Man muss etwas wagen und Dinge tun, die nicht so anerkannt sind. Sonst bleibt immer alles gleich und man schafft nichts Neues.

Müssen denn Architektur und Design provokativ sein?
Ich glaube nicht, dass die Räume, die wir schaffen, provokativ sind. Aber es muss Ecken und Kanten geben, die Fragen aufwerfen. Es muss Spannung erzeugt werden, während aber das architektonische Grundgerüst harmonisch und stimmig bleibt.

Gab es einen Moment, in dem Sie das Gefühl hatten, ihren Weg gefunden zu haben?
Ich hoffe, dass das nie passieren wird. Zum einen habe ich immer wieder neue Ideen und zum anderen bin ich ja nicht alleine, sondern jeder im Team bringt seine Geschichten und Visionen mit. Mir wird gesagt, dass ich eine Handschrift habe und sicherlich gibt es Entwurfsregeln, denen wir folgen. Sobald jedoch das Planerische steht, stelle ich die Dinge und mich selbst immer wieder infrage. Mein Ziel ist immer einen Schritt weiterzugehen, denn es ist eine schreckliche Vorstellung, dass ich die nächsten 30 Jahre immer dasselbe machen soll.

Das bedeutet auch, sich gezielt von seinem persönlichen Geschmack zu lösen.
Nicht unbedingt. Mein Geschmack ändert sich auch ständig. Wenn ich beispielsweise umziehe, lasse ich alles da und mache was ganz neues. Ich hänge an nichts. Vor zwei Jahren waren orange und braun meine Antifarben, jetzt kann ich mir vorstellen, sie mal wieder einzusetzen.

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Weiche Materialien, warme Farben und moderne Möbel vereinen sich in Ester Bruzkus Wohnzimmer

Welche Impulse ändern Ihren Geschmack?
Vor allem sind es meine Reisen. Ich habe oft das Gefühl, mehr Dinge zu sehen als andere Menschen. Ich muss zudem alles anfassen. Mein Büro schmunzelt, wenn ich von jeder Reise mit hundert Fotos wiederkomme, auch von Orten, die eigentlich nicht so spannend sind. Es gibt dieses berühmte Zitat von Jim Jarmusch, nach dem man sich von allem inspirieren lassen soll, sei es die Natur, Film, Kunst, Architektur oder der Himmel. Er ruft dazu auf, zu stehlen und zitiert dabei Jean-Luc Godard, der dem Ursprung einer Idee weniger Bedeutung beimisst als der Aufgabe, das Gestohlene zu etwas Besserem zu bringen.

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Für ihr Apartment bekam Ester Bruzkus den Best of Interior Award von Callwey ...
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Von der Inspiration zu den großen Trends. Was liegt in punkto Hotels in der Luft?
Immer mehr Hotels verzichten auf ihre Corporate Identity, nach der alle Häuser gleich auszusehen hatten. Heute wird jeder Standort von einem lokalen Architekten unter Rücksichtnahme der hiesigen Stimmungen und Farben geplant. Man passt sich an das Gebäude und an die Geschichte des Ortes an und möchte der Globalisierung das Individuelle an die Seite stellen.

Ist Design ein Erfolgsfaktor?
Aber keine Garantie. Ich persönlich mag es auch, in alteingesessene, gewachsene Hotels zu gehen, weil sie eine ganz andere Bequemlichkeit vermitteln. Das Soho Grand in New York zum Beispiel ist ja nicht explizit visionär designt und trotzdem ein einzigartiger Ort. Auf der anderen Seite war ich gerade im Mamilla Hotel in Jerusalem, das von Piero Lissoni aufwändig gestaltet wurde, und war ebenso begeistert.

Und wann ist Hotelarchitektur am Ende gut?
Es kommt immer darauf an, wie viel Raum der Hotelier dem Architekten gibt und wie wenig Hotelexperten mitsprechen. Professionalität kann in diesem Falle auch nachträglich sein, weil es den Raum für Kreativität schmälert und das Konzept verwässert. Wenn der Architekt gut ist, wird er alle wichtigen technischen Parameter ohnehin als erstes beherzigen. Denn er weiß: Nur wenn die Hülle stimmt, funktioniert die Einrichtung. Zum Schluss wählen wir jeden Stuhl und am liebsten auch das Geschirr. Und trotzdem entwickeln sich Räume, nachdem wir sie fertiggestellt haben, durch die Nutzung weiter. Und das ist auch gut so. Gute Architektur muss auch das vertragen können.

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Marmor und Samt definieren die Bar im Wiesbadener Mercure Hotel

 
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Das Restaurant L.A. Poke in Berlin

 
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Gemütliche Ecke im Azimut Hotel in Moskau
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Gibt es eine typische weibliche Heransgehensweise in der Architektur?
Die einen halten meine Architektur für männlich nüchtern, die anderen finden sie weiblich opulent. Ich glaube, Stil hängt ausschließlich vom Charakter ab. Ich habe sicher Mut zur Farbe, aber das liegt nicht unbedingt daran, dass ich eine Frau bin, sondern eher daran, dass ich schon früh im Studium dazu ermutigt wurde. Meine Professorin hatte zuvor für Luis Barragàn gearbeitet, der bekannt für seine großartigen Umgang mit Farben ist. In Mexico City habe ich mal seine Häuser besucht und gemerkt, wie meine berufliche Karriere von solchen Vorbildern geprägt wurde. So auch von Le Corbusier, der die Außenhüllen seiner Architektur zugunsten der Freilegung der Geometrie zwar weiß gehalten, aber im Innern mit starken Farben gearbeitet hat. Das hat für mich immer Sinn gemacht.

www.esterbruzkus.com

Interview: Fredericke Winkler, erstmals erschienen in DECO HOME 1/19