Welchen Einfluss hat japanisches Design auf europäische Textilien – und umgekehrt? Wie lassen sich traditionelle Färbe- und Webtraditionen mit modernster Techologie vereinbaren? Und wo liegen die Grenzen der Textiliproduktion? Auf diese Fragen gibt die Ausstellung „Sudō Reiko – Making Nuno. Textile Innovationen aus Japan“ Antworten, die aktuell im Textilmuseum St. Gallen zu sehen ist. Im Mittelpunkt steht dabei das Werk der japanischen Textildesignerin Sudō Reiko, die mit ihrem Atelier Nuno seit dreißig Jahren weltweit Erfolg feiert. 

Foto: Centre for Heritage, Art and Textiles (CHAT), Hong Kong

Möchte man den Ursprung des Interesses von Sudō Reiko an Textilien erforschen, muss man bis in ihre Kindheit zurückgehen: Bereits damals war die Japanerin von den bunten, gemusterten Kimonostoffen beeindruckt, die ein Händler im Haus ihrer Großeltern präsentierte. Die von den Stoffen ausgehende Faszination bewog Sudō Reiko schließlich zu einem Studium an der Musashino Art University. In den frühen 1980er Jahren lernte sie den Textilplaner Arai Jun’ichi (1932-2017) kennen, der bei vielen Modedesignern für seine innovativen Stoffe bekannt war. Gemeinsam verfolgten sie das Ziel, japanische Handwerkstraditionen und moderne Technologie zu verbinden und so Innovation im textilen Sektor voranzutreiben. Im Jahr 1984 gründeten Sudō und Arai in Tokio das Textilatelier Nuno – japanisch für „Tuch“ –, dessen Designdirektirin Sudō nun seit dreißig Jahren ist.

Foto: Centre for Heritage, Art and Textiles (CHAT), Hong Kong

Sudō Reiko steht für Nachhaltigkeit und Experimentierfreude

Sudō und ihr Team von Nuno sind dafür bekannt, dass sie die Grenzen der Textilproduktion immer weiter hinausschieben. Sie verbinden japanische Färbe- und Webtraditionen mit modernster Technologie oder experimentellen Veredelungsmethoden und kombinieren dabei verschiedene Materialien wie Baumwolle, Seide, Metall und Papier. Das Ergebnis sind originelle und unverwechselbare Textilien, bei denen es sich sowohl um funktionale, industriell gefertigte Lifestyle-Artikel als auch um individuelle Kunstwerke handeln kann. Ein besonderes Augenmerk legt Sudō Reiko auf die Nachhaltigkeit von Materialien oder Verfahren sowie auf regionale Wertschöpfung und die Förderung der hochentwickelten Textilkultur Japans.

Foto: Centre for Heritage, Art and Textiles (CHAT), Hong Kong

Die Ausstellung

Die Einzelausstellung zum Werk von Sudō Reiko im Textilmuseum St. Gallen wartet mit fünf großformatigen Installationen des Künstlers Saitō Seiichi auf, die den komplexen Herstellungsprozess der Textilien vor Augen führen. Begleitend werden Zeichnungen, Skizzen, Rohmaterialien und Design-Prototypen gezeigt, die den Entwurfsprozess illustrieren. Kurze Dokumentarfilme vermitteln Einblicke in den Arbeitsalltag der Textilhandwerkerinnen und -handwerker, die seit vielen Jahren in einer kreativen Beziehung mit Sudō Reiko stehen und maßgeblich an der Produktion der von ihr entworfenen Stoffe beteiligt sind.

Installation Paper Roll – Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Kultur- und Wissensaustausch zwischen den Kontinenten

Mit der Präsentation der Ausstellung „Sudō Reiko – Making Nuno“ führt das Textilmuseum St. Gallen eine Tradition fort, die auf die globalen Dimensionen des Textilen verweist: Bereits vor mehr als 150 Jahren nahmen Japan und die Schweiz einen für beide Seiten fruchtbaren Kultur- und Wissensaustausch auf. So bedient sich die japanische Designerin Sudō Reiko ganz selbstverständlich der Aetzstickerei, einer textilen Technik, die Ende des 19. Jahrhunderts in der Ostschweiz entwickelt wurde. Um dieselbe Zeit grassierte in ganz Europa das sogenannte Japan-Fieber und beeinflusste gleichermaßen die freien wie die angewandten Künste. Unterschiedliche Aspekte der ostasiatischen Ästhetik inspirierten auch die Schweizer Textilentwerfer des 20. Jahrhunderts und noch heute erfreut sich das japanische Design in der Schweiz höchster Wertschätzung. Mit der Präsentation der Ausstellung „Sudō Reiko – Making Nuno“ bringt das Textilmuseum diese zum Ausdruck.

Installation Colourplate – Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Fotos: Johannes Stieger

Installation Kibiso CrissCross – Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Installation Manmaku – Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Installation Manmaku – Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Installation Kimono Collage – Ausstellungsansicht Sudō Reiko – Making Nuno. Foto: Johannes Stieger

Die Ausstellung ist bis zum 18. September 2022 täglich von 10 bis 17 Uhr im Textilmuseum St. Gallen zu sehen.

www.textilmuseum.ch

www.japanhouselondon.uk/discover/stories/sudo-reiko/

Fotos: Centre for Heritage, Art and Textiles (CHAT), Hong Kong
Johannes Stieger

Text: Stefanie Wolf