Unter dem Titel „Die Spitzen der Gesellschaft“ gibt das Textilmuseum St. Gallen Einblick in seine umfangreiche Sammlung historischer Spitzen.
Die Ausstellung
Noch bis zum 10. Februar 2019 zeigt die Ausstellung des St. Galler Textilmuseums über 160 Spitzen unterschiedlicher Machart aus der Zeit von 1500 bis 1800, erzählt die Entwicklung der Spitze und stellt sie in den Kontext zeitgenössischer Modeströmungen.
Spitze – eine europäische Erfindung
Im Gegensatz zu vielen anderen textilen Erzeugnissen handelt es sich bei der Spitze um eine rein europäische Erfindung. Nachdem die erste Spitze im 16. Jh. in Oberitalien entwickelt worden war erfasste das Modephänomen bald ganz Europa und schmückte Krägen, Ärmelmanschetten aber auch Kleider und Kopfbedeckungen der obersten Gesellschaftsschichten wie Adel und Klerus.
An der Spitze der Macht
Im 16. und 17. Jh., als Spanien Europa politisch dominierte, avancierte die Spitze zum unerlässlichen und wertvollen Accessoire der Mächtigen. Die modisch angesagte, schlanke hohe Figur wurde zur Zeit der Gegenreformation durch Korsetts erzielt, die die Beweglichkeit einschränkten. Die für diesen Stil typische Halskrause wurde mit der Zeit immer ausladender bis sie als sogenannte „Mühlsteinkrause“ aus gestärkter Spitze überdimensionale Formen annahm und die Trägerin nahezu erstarren ließ. Auch Spitzenhäubchen und Spitzentaschentuch gehörten zur Ausstattung der gehobenen Gesellschaft.
Erst als Spanien nach dem 30-jährigen Krieg seine Vormachtstellung an Frankreich verlor, änderte sich auch die Mode. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. und sein ebenso eleganter wie sinnenfreudiger Lebensstil prägte von da an die Mode des ausgehenden 17. Jh. und förderte gezielt den Aufbau einer eigenen Spitzenproduktion, für die er Spitzenherstellerinnen aus Italien anwarb.
Der Wert der Spitze
Zu jener Zeit wurde Spitze sowohl von Männern wie Frauen getragen. Die Herstellung jedoch oblag ausschließlich Frauen, die sie in Heimarbeit fertigten und so ein Einkommen erwirtschaften konnten. Spitze war zeitweise so gefragt, dass ihr Wert in Karat gemessen wurde und weltweit gehandelt wurde. Wichtige Spitzenproduzenten waren Italien, Frankreich und die Niederlande.
Historische Spitze als Vorlage für die Textilindustrie
Die Exponate der Ausstellung im St. Galler Textilmuseum waren von Ostschweizer Stickereiproduzenten als Vorlage für die berühmte St. Galler Spitze erworben worden. Im 19. Jh. florierte die Textilindustrie in der Ostschweiz und exportierte ihre Stoffpretiosen in die ganze Welt. Im Zuge dessen sammelten die Hersteller gezielt historische Spitzen, um deren Dessins auf der Stickmaschine zu imitieren. Heute sind die wertvollen Stücke Teil der mit 5000 Objekten international bedeutenden Sammlung des Textilmuseums St. Gallen.
Fotos: Susanne Stauss. Mehr Infos zur Ausstellung: www.textilmuseum.ch, zur Spitze in unserer Stoffkunde.