Kaum etwas liegt derzeit so im Trend wie Möbel aus Silber, Aluminium oder Chrom. Über den heißesten Anwärter im Rennen um den Look des Jahres 2024 und seine historischen Vorbilder.
Silberne Hülle
Fast scheint es so, als wollte man dieses Jahr ständig Gewinner küren. Das liegt vermutlich an den sportlichen Großereignissen wie der Europameisterschaft und den Olympischen Spielen, gilt aber auch für das weltpolitische Geschehen.
Müssten wir uns auch in der Designwelt auf einen Gewinner festlegen, könnte man sagen, dass Silber im Rennen um den Trend des Jahres die Nase vorn hat. Überall sieht man derzeit Möbel aus Chrom, Aluminium, Edelstahl oder Silber. Auf dem Salone del Mobile in Mailand und den 3 Days of Design in Kopenhagen glänzten Leuchten, Beistelltische, Stühle, Sofas und sogar Vorhänge geradezu um die Wette – und zwar in metallischem Silber und nicht in Gold.
Dabei steht Silber symbolisch ja eigentlich für den zweiten Platz: Wer als zweiter über die Ziellinie geht, kriegt die Silbermedaille. Auch fernab des Sportplatzes, nämlich in deutschen Sprichwörtern, muss Silber sich mit dem niederen Rang zufrieden geben. Sie wissen schon: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ und „Silber zerrinnt, Gold bleibt“. Warum eigentlich? Weil Gold wegen seiner Seltenheit schlichtweg wertvoller ist als Silber?
Silber Trend im Interior
Nun wollen wir hier natürlich nicht über sprachliche Eigenheiten, stabile Wertanlagen oder sportliche Errungenschaften sinnieren, sondern über Design – und über den Look, den man als silberne Hülle bezeichnen kann. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden (damit richten wir uns direkt an Menschen, die im Chemieunterricht besser aufgepasst haben, als die Autorin dieses Textes) dass wir Chrom, Aluminium oder Edelstahl hier nahezu synonym verwenden, weil es nicht um die Eigenheiten eines Materials, sondern um den Gesamtlook geht.
Die silberne Hülle als monothematischen Look dürfte das Berliner Architekturbüro Gonzalez Haase AAS salonfähig gemacht haben. In den Büroräumen, die sie für den Grafikdesigner Mirko Borsche in München oder die PR-Agentur Bam Works in Berlin entworfen haben, spielen große Möbel aus Aluminium die Hauptrolle. Das sieht auf den ersten Blick ziemlich kühl aus, aber eben auch cool. In einer Zeit, in der Büroräume oft gemütlichen Wohnwelten gleichen sollen, wirken ihre Räume wie ein Gegenentwurf zu all den New Work-Konzepten. Vielleicht, so scheinen sie sagen zu wollen, kann ein Büro auch einfach nur ein Arbeitsplatz sein? Immer öfters sieht man mittlerweile auch ganze Küchenfronten aus Edelstahl, die aussehen, wie die elegante große Schwester von Gastroküchen. Im Auftreten sind Edelstahlküchen wirkich schick, machen aber auch viel Arbeit – nicht ohne Grund gibt es in Profiküchen eine Putzkraft, die ausschließlich für die Sauberkeit der Edelstahlküchen zuständig ist.
Warum ist der Trend Silber so angesagt?
Woran aber liegt es, dass Silber, Chrom und Aluminium gerade so beliebt ist? Wagen wir einen Erklärungsversuch: Während der Pandemie haben wir unsere Wohnräume in gemütliche Rückzugsorte verwandelt und auf Erdtöne, Beige, Creme und Sand gesetzt. Nun holen wir uns wieder mehr Leben nach Hause, oft in Form von gestalerischen Kontrasten. Chrom, Silber und Co. verleihen weichen Räumen Kante und können für einen spannenden Bruch sorgen. Ein als lieblich empfundener Raum wird durch den Einsatz von Chrom oder Silber aufgebrochen, etwa, indem man auf einen Holztisch Edelstahluntersetzer legt oder eine große Chromleuchte mit verspielten Textilien und warmen Wandfarben kombiniert. In Räumen mit viel Farbe, Textilen oder Mustern wirkt das geradezu ausgleichend.
Übrigens muss es hier nicht immer der Komplettlook sein: In der Küche reicht ein Spritzschutz aus Aluminium, im Esszimmer eine Karaffe aus Silber, neben das Holzbett kommt ein kleiner Hocker (besonders beliebt sind derzeit Exemplare von Frama oder Loes Beta). In den eigenen vier Wänden haben Accessoires aus Edelstahl ja oft sogar einen nostalgischen Wert: Man denke an die Bialetti auf dem Herd, aus der Kaffeegeruch aufsteigt, an verspielte, silberne Küchenhelfer von Alessi oder das geerbte Silberbesteck der Großeltern.
Stahlrohr & Silber in der Designgeschichte
Lassen Sie sich vom Wort „Trend“ nicht täuschen: Der Einsatz von Siber & Co. ist natürlich nicht neu. Tatsächlich ist es bald hundert Jahre her, dass Mart Stam mit schmalen, silbern glänzenden Gasrohren experimentierte. Als einer der ersten entfernte er sich 1925 von den traditionellen vierbeinigen Strukturen eines Stuhls und wurde so zum künstlerischen Urheber des Freischwingerstuhls. Auch die anderen Ikonen seiner Zeit bogen das Stahlrohr: Le Corbusier, Pierre Jeanneret oder Charlotte Perriand machten später Edelstahl zum Rahmen für Sitzflächen aus Leder oder Textilien. Ihr Gerüst glänzte – und fasziniert uns bis heute. Aber: Die glänzenden Rohre waren ein wichtiger Nebendarsteller, aber keinesfalls der Hauptdarsteller ihrer Möbel.
Erst in den fünfziger Jahren, genau genommen zwischen 1950 und 1952, entwarf Harry Bertoia einen verchromten, gebogenen und geschweißten Stahlstuhl: Der „Diamond Chair“, produziert von Knoll, steht gestalterisch für sich, braucht aber ein bequemes Kissen für erträglichen Komfort. 25 Jahre später entwarf Bruno Gecchelin seine halbmondförmige Leuchte „Mezzaluna“. DCW hat sie in Chrom jüngst zurück auf den Markt gebracht (siehe Grafik oben).
Übrigens geht es beim derzeitigen Silbertrend nicht nur um Möbel. Das Designbüro „Project213A“ machte mit einem Sofa aus metallischem Kunstleder auf sich aufmerksam und das Kopenhagener Textillabel &drape hat bereits seit einigen Jahren einen metallischen Stoff im Portfolio. Auch in Deutschland gibt es derzeit viele junge unabhängige Designer und Designerinnen, die großartige Möbel aus Chrom machen. Da wäre ein Stuhl von Reidar Mester, Leuchten von Studio Kuhlmann oder ein Regal von Frederik Fialin, außerdem die Interiors von Vaust Studio.
Zum Glück handelt es sich bei Design nicht um ein Sportereignis. Niemand zwingt uns, dass wir uns auf einen Gewinner festzulegen. Im Englischen würde man das wohl als Silver Lining bezeichen. Der silberne Faden am Horizont beschreibt einen Hoffnungsschimmer in vermeintlich aussichtslosen Situationen. Shiny, aber schön.