So war unser Salone del Mobile 2024

Von Trends und Tendenzen zu Highlights und Hypes: Autorin Valerie Präkelt war eine Woche in Mailand unterwegs und hat hier für uns aufgeschrieben, was den Salone del Mobile und die Designwoche eigentlich so besonders macht.

Eine ganze Woche lang durch die Mailänder Frühlingssonne spazieren und neue Möbel begutachten? Karl Valentin hat (angeblich, bewiesen ist das nicht) einmal gesagt: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Mit Design geht es mir manchmal ähnlich. So ist die Milan Design Week rund um den Salone del Mobile für mich gleichzeitig die schönste und anstrengendste Woche des Jahres; schön, weil ich mich mit großartigem Design umgeben darf und anstrengend, weil ich als Journalistin natürlich versuche, möglichst viele Neuheiten, Ausstellungen und Produktpräsentationen zu sehen. Dabei ist es gar nicht so leicht, sich bei all den Eindrücken auf Favoriten festzulegen. In diesem Rückblick versuche ich es trotzdem – außerdem finden Sie, versprochen, den ein oder anderen Tipp für eine Mailand-Reise fernab der Möbelmesse.

Apropos Messe! Wir beginnen mit einem kurzen Glossar: Strenggenommen heißt nur die Messe in Rho Fiera „Salone del Mobile“. Alle Veranstaltungen, die drumherum und in der Innenstadt stattfinden, laufen unter dem Sammelbegriff „Fuorisalone“. Allerdings hat es sich längst eingespielt, dass man einfach vom „Salone“ oder der Milan Design Week spricht. 

Salone del Mobile 2024: Willkommen in der Möbelhauptstadt!

Mode? Ja, die gibt es hier immer. Im April aber verwandelt sich Mailand zur unangefochtenen Möbelhauptstadt. Everything is design ist einer dieser Sprüche, die in Mailand an neuer Bedeutung gewinnen: Kioske dienen als Ausstellungsorte, im städtischen Schwimmbad treibt eine von Matteo Thun gestaltete Yacht im türkisen Poolwasser und in den alten Stadtvillen entdeckt man Collectible Design. Ja, in diesem Jahr wurde sogar eine alte Gipsfabrik zur Präsentationsfläche. Mailand gilt sonst oft als eher kühle Business-Stadt. Zum Salone aber zeigt sie sich wunderbar abwechslungsreich.

Das hat, wie so vieles, auch eine Kehrseite: Wenn der Salone del Mobile ansteht, schießen die Preise in die Höhe; Airbnb- und Hotels werden unbezahlbar, der Aperol Spritz kostet schon einmal 15 Euro, Taxis werden teurer und Abends einen Tisch im Restaurant ohne Reservierung bekommen? Keine Chance. Deshalb braucht der Besuch etwas Planung. Einen Übernachtungsplatz organisiert man bestenfalls im Vorjahr und auch die Reservierung im Restaurant braucht Vorlauf. Allerdings, und das ist das Schöne an Italien, findet man letztlich doch immer eine kleine, vermeintlich unspektakuläre Pizzeria, die einem nachts um halb elf eine großartige Pizza Margherita serviert.

Wer darf eigentlich zur Milan Design Week fahren?

Der Salone del Mobile ist für mich die beste Möglichkeit, mir neue Produkte und Präsentationen live anzuschauen. Mindestens genauso sehr geht es allerdings ums Netzwerken. Weil Designer und Designerinnen aus so vielen verschiedenen Teilen der Welt anreisen, kann man sich als Journalist auf einen Espresso, zum Aperitif oder zum Abendessen treffen. Für Interiordesigner und Händler ist die Messe wichtig, um sich mit ihren Kunden auszutauschen, und Designer und Designerinnen versuchen, neue Kontakte zu knüpfen.

Schon seit einigen Jahren merkt man, dass die Milan Design Week auch fernab des Branchenpublikums immer beliebter wird. Bisweilen hört man dann auch Klagen über die Möbeltouristen. Ich sehe es lieber so: Design ist für alle da. Anders als bei Modenschauen, kann man hier (einmal abgesehen von den Pressepreviews und den ewigen Warteschlangen) auch Ausstellungen ohne exklusive Einladungen besuchen. Außerdem bekommt man während der Designwoche die Chance, sonst verschlossene Palazzi oder Ateliers zu besuchen. 

Was hat es mit der Bar Basso auf sich?

Abends trifft man sich traditionell in der „Bar Basso“. Die Bar Basso ist eine italienische Bar aus den Fünfzigern, mit alter Holzverkleidung und separater Kasse, an der man seine Drinks zuerst bezahlt, bevor man sich durch die Menge an den Tresen drängt. Angeblich wurde in der Bar Basso der „Negroni Sbagliato“ erfunden. Zum Designhotspot wurde die Bar in den Achtzigern, weil sich hier Designer wie Ettore Sottsass oder Stefano Giovannoni trafen, später, in den 2000ern, kamen dann auch Jasper Morrison oder Konstantin Grcic.

Heute flutet das Salone-Publikum die Bar und den Verkehrskreisel davor. Ein richtiges Gespräch kann man hier abends nicht mehr führen, aber darum geht es auch nur bedingt. Die Bar Basso ist vor allem ein Gefühl, ein bisschen, als wäre man Teil des großen Ganzen. Das macht Spaß – aber man muss es auch nicht übertreiben und jeden Abend hier verbringen.

Dieses Jahr machte der Bar Basso übrigens eine Location Konkurrenz: Das Magazin Apartamento und Marimekko verwandelten eine Tagsbar in ein Pop-up. Abends sammelten sich auch hier zahlreiche Designliebhaber. Und tagsüber fand man sich zum Beispiel im temporären Rimowa Caffé wieder, mit eigens für das Caffé bedruckten Enzo Mari-Tassen von KPM.  

Die schönsten Begegnungen

Am Montag liefen ein Kollege und ich zufällig Marva Griffin über den Weg. Griffin ist eine Instanz. Seit 1996 gehört sie zum Team des Salone, 1998 gründete sie die Talentschau „Salone Satellite“, eine enorm wichtige Ausstellung für junge Designer (Sebastian Herkner, Oki Sato von Nendo und Cristina Celestino stellten hier schon aus). Griffin ist eine ältere, sehr elegante Dame, wir trafen sie, als sie gerade aus einer dieser typisch italienischen Reinigungen kam. Sie trug einen grauen Anzug und sah wirklich fabelhaft aus. Marva Griffin hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis und stoppt immer für ein kurzes Gespräch, selbst wenn man sie vor der Reinigung überfällt. Wäre ich eine junge Designerin, dann wäre Marva Griffin die Frau, die ich auf meiner Seite haben wollte. 

Der größte Hype

Apropos junge Designtalente: Die Gruppenschau Alcova ist längst kein Geheimtipp mehr – was leider dazu führte, dass man in diesem Jahr teils mehrere Stunden warten musste, um die beiden Ausstellungsorte zu besuchen. Zum Glück allerdings sind die Fotos fast ebenso schön wie das Collectible Design, das man in diesem Jahr in der Villa Borsani und der Villa Valsecchi Bagatti außerhalb der Stadt begutachten konnte. Für das nächste Jahr würde ich mir dennoch kürzere Warteschlangen wünschen. 

Und die Deutschen?

Im Fashion Cafe stellte Fabian Freytag sein erstes Buch für Callwey vor. Das heißt „Gently Radical“ und gibt Lesenden einen guten Eindruck in sein Schaffen, es ist eine Mischung aus Ratgeber und Inspirationsquelle. Außerdem zeigt Freytag im Buch seine umgebaute Wohnung – eine Vorausschau bekommen Sie →hier.

Im Designviertel Brera verwandelten zwei Münchner einen Kiosk in eine Bar: Emanuel Sirch, Inhaber der Kreativagentur A Manual und Benjamin Caja, Gründer von Acapulco Chair, feierten eine limitierte Edition des Acapulco Chairs in Chrom und verkleideten dafür einen Kiosk mit silberner Klebefolie. Einige Straßen weiter lud Schönbuch zum Cocktail und präsentierte ein flexibles Sideboard-Möbel von Christian Haas. Und in einem von Palmen umrundeten Gewächshaus stellten Kaldewei und E15 eine Kollektion fürs Bad von Stefan Diez vor, die zu seiner Badewanne „Oyo Duo“ passt.   

Immer eine gute Wahl: Risotto Milanese

Das beste Risotto Milanese habe ich auf der Party von Hermès gegessen, die traditionell am Dienstag stattfindet und immer großen Spaß macht. Das Safran-Risotto kann man übrigens auch leicht zu Hause nachkochen, es braucht lediglich den richtigen Reis, Brühe, Parmesan und Butter – und hochwertiges Safran. Ich habe letztes Jahr eine kleine Portion in Beirut gekauft und mich umso mehr gefreut, als ich dem libanesischen Designer Georges Mohasseb über den Weg gelaufen bin, der in Mailand neue Entwürfe für sein Studio Manda präsentierte. 

Apropos Risotto: Falls Sie planen, Mailand in Kürze zu besuchen, lege ich Ihnen ans Herz, einen Tisch in der brandneuen „Trattoria del Ciumbia“ zu buchen. Das von Dimorestudio eingerichtete Restaurant hat es nicht nur gestalterisch in sich, auch die Speisekarte hat uns überzeugt. Wer ein ganz traditionelles, italienisches Lokal bevorzugt, dem empfehle ich die „Antica Trattoria della Pesa“. 

Und die Trends?

Weinrot

Weinrot ist die Farbe der Stunde. Die Mode ist der Interieurbranche (was Trends angeht) bekanntlich immer einen Schritt voraus – und wer sich bei Insidern umhört, weiß, dass diese Farbe von Einkäufern bestellt wird, seit Guccis neuer Kreativdirektor Sabato de Sarno sie letztes Jahr in den Fokus seiner ersten Modenschau gerückt hat. Während der Designweek sah man das Wein- und Bordeauxrot in Mailand nicht nur bei Gucci (die tauchten unter anderem Mario Bellinis Sofa „La Mura“ in ein sattes, dunkles Rot), sondern auch am Messe-Stand von Minotti (sowohl als Wandverkleidung als auch als Farbe des Sofas) und bei jüngeren Büros wie dem italienischen Studio Utte, die ihre Wände mit weinrotem Stoff von Dedar tapezierten. 

Teppichboden

Wir begrüßen zurück: den Teppichboden! Ich habe ihn sowohl beim australischen Interiordesigner David Flack als auch bei Westwing gesehen, die das erste Mal auf dem Fuorisalone ausstellten und ihre Kollaboration mit Dedar präsentierten. Ein zweites Revival der Seventies? Das wäre gut möglich. Erst kamen die Ledersofas mit Patina zurück, jetzt der passende flauschige Teppichboden.

Chrom

Möbel aus Chrom werden uns noch eine Weile begleiten. Das sieht man bei Leuchten (etwa bei DCW Éditions, die Bruno Gecchelins „Mezzaluna“ von 1975 zurückbringen), auf dem Boden (bei Dimorestudio), beim oben erwähnten Acapulco Chair … Wir könnten so weiter machen! Nicht sonderlich bequem, dafür unendlich schick, sieht der Stuhl von Supaform aus. Form follows what? 

Betten

Mein Gefühl sagt mir, dass skulpturale Betten künftig wieder eine zentralere Rolle als Gestaltungselement spielen werden: Bei Dimorestudio sah man ein verträumtes Himmelbett und das georgische Duo Rooms Studio stellte gleich sechs neue Betten vor, die wie ein Solitär im Raum standen. Bye, bye Boxspring? Wir werden sehen.

Salone del Mobile 2024: Wie war es denn eigentlich auf der Messe?

Trends und Highlights bestimmt man bekanntlich nicht alleine. Also habe ich bei DECO HOME-Textchefin Christina Pearce nachgefragt, was ihr besonders auf der Messe ins Auge gestochen ist. Sie hat auf Wittmann verwiesen, die schon traditionell den Messe-Dienstag mit Präsenz und neuen Entwürfen von Sebastian Herkner, Federica Biasi, Philippe Nigro einläuteten. Arthur Arbesser und Alice Wittmann, das neue Führungsduo der österreichischen Traditionsmarke, debütieren also mit Bravour.

Immer ein Highlight sind die skulpturalen Teppiche von CC-Tapis. Außerdem angetan haben es unserer Textchefin die Messestände (die eigentlich eher Wohnwelten gleichen) von Poltrona Frau und Baxter, die ein Haus aus Lehm in die Messehalle bauten.

Aber: So ein Besuch auf dem Salone del Mobile kann wirken wie viele Bäume ohne Wald. „Bemerkenswert fand ich, dass De Sede bei all dem Überfluss mit genau einem Produkt in verschiedenen Varianten auf die Messe gekommen ist, ein neues Sofa mit flexiblen Rückenteilen, in der Form orientiert am Klassiker DS-600.“

Und sonst so? Unsere Textchefin liebt die tolle Outdoorküche von Exteta. „Und Kartells Messestand war episch wie immer, hatte aber im Hinterzimmer eine lustige, kleine Special-Edition von 5 Kartell Klassikerstühlen für das Barbie-Spielhaus.“ Außerdem erwähnenswert sei Sebastian Herkners Bell Table von Classicon mit neuer Strohmarketerieplatte, der in Deutschland gefertigt wird. „Und Minotti – gefühlt wie faktisch der größte Stand der Messe – zelebrierte die Siebzigerjahre.“

Sie sehen schon: Wir haben viel zu erzählen vom Salone del Mobile. Inspirationen und Ideen, Neuheiten und Anregungen. Anstrengend ist so eine Woche – aber eben auch sehr, sehr schön.

Mehr Eindrücke, Trends und neue Produkte vom Salone del Mobile zeigen wir Ihnen in unseren Print-Ausgaben für den Sommer und den Herbst. Wer das nicht verpassen will, kann sie hier →abonnieren.