Vor fast 100 Jahren bekam die finnische Architektin Aino Aalto von der japanischen Botschafterin ein Seidentuch mit Kirschblüten-Print überreicht. Ein Geschenk, das inspirierte: Aino verwandelte das „Kirsikankukka“-Motiv in ein textiles Muster, das Artek nun gemeinsam mit dem dänischen Homeware-Label Tekla als Bettwäsche lanciert. Im Interview spricht Artek-Chefin Marianne Goebl über Aino Aalto als Mensch und wegweisende Designerin. Und über die Herausforderungen einer Heritage-Marke in der heutigen Zeit.

Marianne Goebl (Foto: Debora Mittelstädt / Artek)
Mit der neuen Textilkollektion feiert Artek seine Mitbegründerin Aino Aalto. Im Gegensatz zu ihrem Mann Alvar Aalto ist Aino weniger bekannt. Was war sie für ein Mensch?
Das ist eine interessante Frage, denn es stimmt: Von Alvar Aalto hat man ein klares Bild, von Aino hingegen weniger. Es gibt keine Tonaufzeichnungen, aber natürlich viele Zeitzeugenberichte. Aino war offensichtlich reserviert, zurückhaltender, aber sehr fokussiert und auch pragmatisch. Sie war auf der Suche nach Dingen, die funktionieren und hatte immer den Wunsch, Schönheit in den Alltag zu bringen. Sie war sehr strong minded, hatte ihre eigenen Ideen und ihren eigenen Willen. Als junge Frau in Finnland Architektur zu studieren, war damals etwas sehr besonderes. Sie war eine von drei Hochschülerinnen in ihrem Jahrgang! Es gibt ein sehr interessantes, neues Buch von einem Enkel der Aaltos. Es basiert auf den Briefen und Telegrammen, die sich das Paar geschickt hat. Immer wenn sie verreisten, haben sie sich geschrieben. Da merkt man: Aino hatte die Dinge im Griff.

Die Frau der Stunde: Aino Aalto. (Foto: Alvaro Alto Estate)
War es eine bewusste Entscheidung von Ihnen für die Kooperation mit Tekla ein Muster von Aino Aalto auszuwählen?
Der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit Tekla war tatsächlich das Kirschblütenmuster. Es war dann aber sehr schnell klar, dass in dem Stoff eine wahnsinnige Tiefe steckt und dass Aino als Person so interessant ist, dass man mehr über sie erzählen möchte. Ich werde oft gefragt: Wurde Aino kleingehalten? Das würde ich verneinen. Die Aaltos hatten ein Architekturbüro und in dieser Kommunikation wurde Aino immer genannt. Das war total auf Augenhöhe. Auch bei Artek war sie Kreativ- und später Managing-Direktorin. Man darf aber nicht vergessen, dass Aino schon 1949 gestorben ist, da war sie 54 Jahre alt. Alvar hingegen konnte noch fast 30 Jahre länger gute Architektur machen, auch ohne seine Frau. Dadurch ist sie ein bisschen in den Hintergrund gerückt.
Zu dem Zeitpunkt, als Aino begonnen hat zu entwerfen, wurde elektrisches Licht gerade erst flächendeckend eingesetzt!
Wofür wird Aino Aalto bei Ihnen besonders geschätzt?
Sie ist eine absolute Identifikationsfigur für uns. Wir haben sehr viele weibliche Mitarbeiterinnen und für die ist natürlich klar: Alvar ist toll, aber Aino ist noch faszinierender! Sie muss eine wirklich exzellente Zeichnerin gewesen sein, angeblich noch besser als er. Sie hatte einen Sinn für Proportionen und eine tiefe Faszination für Materialien und konnte einschätzen, was die ästhetische Qualität eines Objekts ist. Heute würde man sagen, sie war ein Early Adopter. Finnland war damals ein unterentwickeltes Land. Es wurde 1917 unabhängig von Russland und hat dann begonnen, sich zu emanzipieren. Zu dem Zeitpunkt, als Aino begonnen hat zu entwerfen, wurde elektrisches Licht gerade erst flächendeckend eingesetzt! Und sie hat viele Leuchten gestaltet.
Artek wird oft mit Holz und weniger mit Textilien assoziiert …
Ich verstehe die Überraschung. Aber in den Interiors der Aaltos und deshalb auch im Sortiment von Artek gab es schon immer gedruckte Stoffe. Das waren eher geometrische Entwürfe, teilweise abgeleitet von architektonischen Strukturen. Wir verkaufen den Stoff als Meterware und die Leute nähen sich daraus Vorhänge und Tischdecken. Die Textilien sind sehr beliebt in Finnland und Japan. Als Tekla dann das florale Muster ausgewählt hat, war ich auch sehr verblüfft. Aber Tekla hatte sich in dieses Muster verliebt, da es offensichtlich gar nicht so einfach ist, eines zu entwerfen, dass dekorativ, aber trotzdem reduziert und zeitlos ist. Das waren dann Ainos Kirschblüten.
Wie ist es für Sie ganz persönlich für so eine geschichtsträchtige Marke zu arbeiten? Wie geht man mit diesem großen Erbe um?
Am Anfang hatte ich natürlich wahnsinnigen Respekt, als Nicht-Finnin. Ich habe nie in Finnland gelebt. Mir war bewusst, dass Artek in Finnland Nationalheiligtum ist. Das kennt dort jeder. Es gibt im deutschsprachigen Raum kaum etwas Vergleichbares. Die Menschen haben das zu Hause, in den Schulen, in den Bibliotheken. Sie wachsen damit auf und sind stolz darauf. Was es mir sehr einfach gemacht hat, war die wahnsinnige Offenheit des finnischen Teams. Mittlerweile ist es so, dass ich ein Gespür dafür bekommen habe, was passend ist und was nicht. Aber das Interessante ist: Wo man kratzt, kommt wieder etwas raus! Und das liegt auch daran, dass die Artek-Gründer so tolle Persönlichkeiten waren. Die Aaltos haben das Unternehmen mitgegründet, sie waren Teil einer internationalen Bewegung. Es gibt ständig Verbindungen zu anderen Architekten, zu Kreativen. Und sehr viele zeitgenössische Künstler, Designer und Architekten, die sich auf die Aaltos beziehen. Das macht es spannend! Es steckt viel Substanz in Artek, was sich gut im Hier und Jetzt interpretieren lässt. Da geht es natürlich auch um ganz fundamentale Themen, wie das große Thema Nachhaltigkeit.

Die Reedition des „Armchair 45“ ist mit gestepptem Leder oder mit Leinengewebe erhältlich.
Wo werden die Möbel denn hergestellt?
In Finnland. Wir haben eine eigene Fabrik in Turku. Seit den 1930er Jahren werden die Möbel in dieser Fabrik gemacht. Da geht es dann auch um Themen wie: Kann man die Möbel reparieren? Wie altern sie? Als Heritage-Marke hat man da einen wahnsinnigen Vorteil, weil wir so viel Erfahrung haben. Unsere Möbel sind alle modular aufgebaut. Ich habe noch nie gehört, dass ein Armlehne bricht. Aber nehmen wir mal an, es würde passieren, dann können wir diese Armlehne heute noch genauso herstellen. Die Konstruktionsprinzipien der Aaltos waren schon immer so, dass man gedacht hat: Es muss repariert werden können.

Ein Klassiker: der „Stool 60 Villi“ (Foto: Bryan Saragosa)
Artek ist 1935 im Zuge der International Modernist Bewegung gegründet worden. Der Markenname ist eine kombinierte Abkürzung aus Art und Technology. Wie bedienen Sie die beiden Bereiche heute?
Der Name Art und Technology, also Kunst und Technik, ist Programm. Das haben nicht die Aaltos erfunden. Das war eigentlich ein Credo des Bauhauses. Walter Gropius hat gesagt: Kunst und Technik, das ist die neue Einheit. Was damit gemeint war: jetzt gibt es plötzlich diese tollen Produktionsmöglichkeiten, man kann in Serie produzieren und gute Dinge für so viele Menschen wie möglich machen. Aber wichtig war ihnen, dass es keine rein maschinell produzierten Dinge sind, sondern Objekte, die eine Seele haben oder eine künstlerische Dimension. Und deswegen ging es im Bauhaus darum, dass man die Künstler und die Techniker und die Handwerker vereint. Das war auch die Idee der Aaltos: sie wollten Möbel in Serie machen, aber mit einem künstlerischem Anspruch.

Als Bewunderer der Arbeiten von Aino und Alvar Aalto lieh Sir Paul Smith kürzlich drei Artek-Produkten seinen unnachahmlichen Stil.
Die Aaltos waren für Ihre Zeit sehr visionär. Welches Design ist heute fortschrittlich? Wie denken Sie über Themen wie KI? Spielt das eine Rolle?
KI im Moment nicht. Wir sind uns bewusst, was da läuft. Aber ich glaube, für eine Marke wie Artek ist es genauso wichtig, das Bestehende zu erhalten und Neues zu schaffen. Es gibt so gute Dinge, die noch Bestand haben, die noch relevant sind. Die Frage ist hier: Wie halten wir sie frisch? Was sind Dinge, die wir noch nicht anbieten, aber gerne anbieten wollen? Die entwickeln wir neu. Ich glaube, das große Thema unserer Zeit ist die Klimakrise und wie man als produzierendes Unternehmen damit umgeht. Dann tauchen natürlich Fragen nach der Zirkularität auf. Da haben wir den Artek Second Cycle Store. Diese Themen sind vielleicht weniger sexy, aber wahnsinnig wichtig. Wir beschäftigten uns dann zum Beispiel mit der Supply Chain. Wo kriegt man das Holz eigentlich her, was passiert damit und wie viel Holz brauchen wir wirklich?

Die neue „Forest Collection“ maximiert die Nutzung jedes Baumes und feiert die Schönheit der Unvollkommenheit. (Foto: Carl Bergmann)
Ist das Holz auch aus Finnland?
Ja, alle Aalto-Möbel sind aus finnischer Birke. Wir haben sehr strikte Qualitätskriterien. In unseren jetzigen Produkten gibt es keine Astlöcher, keine dunkleren Linien. Aber das ist doch die Realität des Waldes! Sehr viele Bäume haben diese Merkmale. Deswegen haben wir mit dem Kreativstudio Formafantasma an einer neuen Ästhetik der Nachhaltigkeit gearbeitet. Recyceltes Papier sieht schließlich auch anders aus. Man muss mehr vom Baum verwenden, damit man ultimativ weniger Bäume abholzt. Für uns ist das im Moment ein Propagandaprojekt. Ich benutze bewusst das Wort Propaganda, da es im Gründungsmanifest von Artek eine der drei Säulen ist. Wir glauben, dass die ganze Industrie umdenken muss und wir müssen jetzt anfangen, das zu zeigen. Das sind unsere großen Themen. Die Zeit, in der man einfach nur so machen konnte, ist vorbei. Das ist unser Ansatz – ohne predigen zu wollen. Wobei vielleicht doch, ein bisschen schon (lacht).
Artek wird nächstes Jahr 90. Welche Pläne haben Sie?
So ein Jubiläum ist natürlich immer ein Anlass zu überlegen, woher man kommt. Artek war immer ein Gemeinschaftsprojekt. Es waren vier Gründer, zwei waren aus der Architektur, zwei aus der Kunst und es war eine moderne Bewegung mit einem Netzwerk rundherum. Nur deswegen konnte das Label aus Finnland ein internationales Netzwerk etablieren, diese „Like-minded Friends“ waren ganz wichtig und das möchten wir nächstes Jahr auch zelebrieren. Wir möchten Finnland in die Welt bringen und Artek gemeinsam mit finnischen und internationalen Freunden feiern. Da werden ein paar spannende Sachen kommen! Es wird auch um den finnischen Wald gehen, so viel sei verraten, aber sicherlich um noch viel mehr.
www.artek.fi / www.teklafabrics.com
Interview: Lilian Ingenkamp