14.690 Schritte durchschnittlich pro Tag, spannende Begegnungen, Design-Highlights und gesellige Abende: Hier zeigen wir Ihnen unsere ganz persönlichen Eindrücke und Trendprognosen der Mailänder Möbelmesse.
Solo in Milano: Salone del Mobile 2022
Die Mailänder Möbelmesse ist bekanntlich die größte ihrer Art und damit auch die wichtigste. Europäisches Design und insbesondere das italienische ist ein Exportschlager in der ganzen Welt, zumindest wenn der Anspruch exzellente Qualität ist. Es wundert also nicht, dass die Messe sich von Jahr zu Jahr weiter in der Stadt ausbreitet und immer wieder neue, zum Teil sehr beeindruckende Palazzi und Spaces aufgespürt werden, wo das Design großer Marken, kleiner Manufakturen, junger Gestalter und Newcomer präsentiert wird. Der vielleicht aufregendste ist aktuell das für Erstbesucher erstaunlich große Areal Alcova, das vier Gebäude und Außenflächen eines verlassenen Militärkrankenhaus-Komplexes als Ausstellungsfläche nutzt. Der morbide Charme von abgewetzten Wänden, altblauen Sanitärkacheln oder verlassenen Maschinenräumen ist der Inbegriff des Wortes cool, vermag aber auch ein leicht mulmiges Gefühl heraufzubeschwören – erst recht, wenn man am Vormittag vor den großen Massen eintrifft und eher einsam durch die Räume streift.
Doch gerade auch die weniger interessanten Präsentationsflächen werden in den allermeisten Fällen mit einer so blühenden Kreativität bespielt, dass allein die Installationen Besucher berauscht und inspiriert in die Heimat entlassen. Auch nach zwei Jahren Abstinenz wurde wieder bewiesen: Das gibt es in diesem Ausmaß nur in Mailand.
Noch faszinierender als die Architektur des Palazzo Isimbardi waren die Upcycling-Körbe von
Loewe, die das Modehaus von überall aus der Welt nach Mailand holte.
Promemoria inszenierte die Neuheiten umgeben von farbigem Sand.
Der Preis für den wohl stylishtsten Feuerholz-Korb geht an
Hermès (links unten). Das handgeschöpfte Papier, auf dem die News präsentiert wurden, ging im Anschluss übrigens wieder an die Manufaktur zurück.
In wunderbare Welten entführte
Moooi mit der Tapetenkooperation „Memento“ für
Arte International. Die Beistelltisch- und Sofaserie von
Cristina Celestino brachte es mit Materialien (Lack und Samt) wie Farben (gedecktes Orange und Graugrün) trendtechnisch mal wieder auf den Punkt.
Farbenfroh ging es bei
Schönbuch zu. Fun Fact: Weil Kreativdirektorin Carolin Sangha einfach nicht den passenden Violett-Ton für die Präsentation im Showroom finden konnte, entwickelte sie ihn kurzerhand mit Farbhersteller
Little Greene selbst.
Die
Lyk-Carpet-Skulptur war nur eines der Highlights, die man bei der Installation „Ich und Du“ vom Designerinnenkollektiv
Matter of Course entdecken konnte.
Eine neue Ziernaht-Liebe bei Sitzmöbeln gab auch
Gervasoni 1882 zum Besten.
... mit Creative Director Camilla Fischbacher verpackte er Einflüsse der gemeinsamen iranischen Wurzeln in der Kollektion „Contemporary Persia“.
Unsere Favoriten bei
Cassina: Der beinah neongrüne Bouclé-Bezug und die moderne Muranoglas-Vasenkollektion von Patricia Urquiola.
#decohomies: Chefredakteurin Anne Gelpke und Redakteurin Katharina Volkwein im Space von
The Socialite Family.
Hat das (nicht immer) gute, alte Designviertel Zona Tortona definitiv aufgewertet: das
Ikea Festival mit interaktiven und fotoaffinen Angeboten wie dem Camouflage-Raum ...
... einer riesenhaften offenen Discokugel zum Einkuscheln sowie dem XXL-Adult-Bällebad im Hof.
Das französische Interior-Studio
Rinck präsentierte seine erste Stoffkollektion in Zusammenarbeit mit dem Textilverlag
Maison Thevenon.
In den wilden Gärten Alcovas: Gründerin und Kreativdirektorin Jutta Werner zeigte hier das Repertoire ihres Teppichlabels
Nomad.
Geradezu märchenhaft: die Installation „Wall of Wonders“ von
Fenix, die ihre flexible Wandverkleidung „X-KIN“ vorstellten.
Auf dem Messegelände
Auch das Messegelände Rho Fiera hat beinahe zu alter Größe zurückgefunden. Volle Hallen mit zum Teil riesigen und aufwendig inszenierten Messeständen, die mit neuen Entwürfen, weiterentwickelten Linien und Klassikern zum Staunen und Anfassen einluden. Für Designfans der vielleicht schönste Aspekt ist, dass man hier immer wieder auf (Star-)designer trifft, die auf Nachfrage gerne von ihren neuen Entwürfen schwärmen. Uns haben diesmal Sebastian Herkner und Ronan Bouroullec am meisten begeistert.
Wer den Namen hat, kann ihn auch feiern:
Knoll International zeigte neben seinen vielen Designklassikern einige neue Anwärter auf diesen Status ...
... so etwa Loungechair „Klismos“, entworfen von Antonio Citterio.
Auf dem Stand von
Nanimarquina türmten sich die Garne. Ziel: Bewusst zu machen, wie viele Abfälle bei der Teppichproduktion anfallen. Konsequenterweise werden einige der neuen Designs aus genau diesen gefertigt.
French Connection: Die feinen Stoffe des Textillabels
Lelièvre kleiden jetzt Entwürfe von Möbelhersteller
Red Edition – we like!
Nicht nur in Mailands Palazzi, sondern auch bei
Seletti hatten Büsten ihren großen Auftritt. Hier in Form der vielleicht lustigsten Leuchte Mailands.
Sofas in ausdrucksstarken Formen und Farben bilden den Gegenpol zur immer noch omnipräsenten Beige-Liebe. Hier:
Zanotta.
Ronan Bouroullec gab sich die Ehre bei
Magis, um den neuen Sofa-Entwurf Riace zu präsentieren. Das Erstaunliche daran ist nicht die für das Designduo typische jahrelange Entwicklungszeit sondern das Ergebnis: Armstützen in handbeschlagenem Gusseisen, welche dieses Stück zu einer leibhaftigen Innovation machen.
Detailverliebte Ecken und Nähte bei Sitzmöbeln, wie hier bei Stuhl
Brit von Airnova, gehören zu unseren liebsten Entdeckungen auf der Salone del Mobile 2022.
Ein immer noch selten schönes Produkt, hier ist das Design geglückt: Dieser Stuhl des spanischen Labels
Ondarreta ist nicht nur klapp- sondern auch wie eine Tasche tragbar.
Coole Möbel zwischen der feinen Farbkombi aus Ocker/Curry und tiefem Blau, gesehen bei
Miniforms.
Der Marmorlook-Trend ist längst zum Materialstandard geworden, treibt aber immer immer wieder neue Blüten – wie hier mit einer besonders feinen Onyx-Tischplatte bei
e15.
Lieblingsentdeckung auf dem diesmal leider nicht so spannenden Jungdesigner-Spot Salone Satellite: die Prototypen-Kollektion „Ultradorism“ von
Elina Ulvio aus Finnland.
Gewohnt elegant und cozy ging es beim Stand von
Luiz zu.
Alle Jahre wieder ist auf den Hersteller
Gebrüder Thonet Vienna Verlass, wenn es um gewagte, aber doch sehr „tragbare“ Entwürfe geht.
Eine sehr nette Entdeckung zwischen vielen großen Ständen war das wandelnde Beduinen-Zelt aus Stoffen und Teppichen des kolombianischen Textilstudios
Verdi.
Ein Highlight: Licht
Ein auffälliger Trend waren neben dem verstärkten und beizeiten auch kuriosen Einsatz von Kunstnebel die besonders schick in Szene gesetzten Licht-Installationen. Ja, das Medium eignet sich auch für den großen Auftritt – aber der will auch gut geplant sein. Daher kommen hier ein paar Eindrücke von den schönsten Licht-Spots.
Schon immer hat der britische Designer mit seinen Mailand-Installationen für Gespräche gesorgt. Zum 15-jährigen Jubiläum zeigte
Lee Broom seine bisher größte – diesmal nicht in einem der aufstrebenden Vierteln, sondern dem Designhotspot Brera. Thema war das geschickte Spiel mit Anspielungen zwischen Kirche und Alten Göttern.
Im großen abgeduckelten Space des tschechischen Leuchtenherstellers
Lasvit wurden die Produkte sehr atmosphärisch auf mehreren Bühnen präsentiert.
Leuchtendes Tor der Surfacedesign-Brand
Solid Nature in einem Gebäude des Alcova-Komplexes.
Die aufstrebende Designerin
Serena Confalonieri entwarf diese Leuchten für
Servomuto. Inspiration: Der Strumpfhosenstoff Lycra und das Bild, das er dem weiblichen Körper verleiht.
Der vielleicht spannendste, weil interaktive Aufbau des Leuchtenherstellers Preciosa war in der Zona Tortona zu finden. Die Kristallstäbe im Innern wurden mit Drumsticks zum Leuchten und Klingen gebracht. Der Effekt: Eine immer neue und ganz eigene Symphonie.
www.salonemilano.it
Text und Fotos: Katharina Volkwein & Christina Pearce