Im sizilianischen Ragusa retteten Designerin Margherita Rui und Alessandro Rado ein 65 Quadratmeter kleines Hügelhäuschen vor dem Verfall und zeigen, wie schlau mediterranes Wohnen sein kann. Hier zeigen wir nicht veröffentlichte Bilder zur Homestory im Heft.
Wenn der Abend sich über Ragusa legt, taucht der Sonnenuntergang die barocken Steinfassaden ein letztes Mal in goldgelbes Licht. Hier, im Südosten Siziliens, haben Margherita Rui und ihr Mann Alessandro Rado sich ein zweites Mal verliebt: in die kleinen, halb in die Hügel gegrabenen Häuser aus hellem Modica-Stein und die für Sizilien typische Inselarchitektur.
„Ragusa war für uns eine echte Entdeckung: Es hat uns immer wieder hierher gezogen“, erzählt die Designerin, die mit ihrem Mann die Beratungs- und Kreativagentur Dogtrot gegründet hat. Also suchten die beiden Veneter nach einem zweiten Zuhause für sich und ihre Familie. Rui und Rado sind Eltern zweier Teenager und leben eigentlich in Treviso. Sie fanden es letztlich in einem der alten Hügelhäuser am Colle della Croce, das drohte, zur Ruine zu verfallen.
Kleines Haus, großes Potenzial
„Als wir das kleine Haus zum ersten Mal angeschaut haben, erkannten wir das Potenzial sofort“, erzählt Rui, die fast alle Möbel für ihren Sehnsuchtsort selbst entwarf. Der Grundriss auf 65 Quadratmetern wurde neu geordnet und zwei rudimentäre, in den Hügel gegrabene Räume zu einem offenen Wohnzimmer zusammengelegt.
Maßgefertigte (Licht-)Lösungen
Im Erdgeschoss befinden sich außerdem die offene Küche aus Kalkstein und ein Badezimmer. Die Schlafbereiche sind oben verortet. „Die Hauptanforderung bestand darin, Licht hereinzulassen, weil die alten Fenster so klein sind“, sagt Rui. Also ergänzten sie weitere Fenster und setzten auf maßgefertigte Lichtlösungen. Über der offenen Küche pendelt nun die dreiarmige Leuchte „Cifra“, die Rui gemeinsam mit dem venezianischen Leuchtenhersteller Il Fanale realisierte, einem Produzenten, der sich auf Custom-made-Design spezialisiert hat.
Die Einrichtung des Hauses, das Rui und ihr Mann „Grotta e Carrubo“ tauften, weil ihnen einst ein großer Johannisbrotbaum den Weg zur Quasiruine wies, sei ihr leicht gefallen, erzählt Rui – „als hätte die Grotta danach gefragt“. Sie schätzt Manufakturarbeit und lokales Handwerk. Alle Holzschränke, den intarsierten Klapptisch im Küchenbereich und den Spiegel mit Ablage im Bad fertigten Schreiner vor Ort aus Kastanie nach ihrem Entwurf. Fast alles hier ist handgearbeitet: „Die Kissen wurden von Hand bestickt, die Körbe aus Olivenzweigen in Caltagirone handgeflochten und die ‚Liberta‘-Karaffen aus mundgeblasenem Borosilikatglas habe ich für Ichendorf entworfen“, fasst Rui zusammen.
Mediterranes Wohnen findet draußen statt
Die Gestaltung der Grotta stehe für sie exemplarisch für die Verbindung zweier Regionen – Venetien und Sizilien –, „die geografisch zwar weit voneinander entfernt, aber durch solide Handwerkstraditionen miteinander verbunden sind“. Es ist die Magie mediterraner Lebensräume, dass sich das eigentliche Leben nicht drinnen, sondern im Außenraum abspielt. So gehören zur Grotta e Carrubo 150 Quadratmeter Außenfläche mit Dachterrasse. Hier wachsen Johannisbrot-, Zitronenbäume und die für die Insel so typischen Kaktusfeigen.
Ein kleiner, in den Steinboden eingelassener Pool erinnert an römische Bäder und die Geschichte des Eilands. 1693 gab es auf Sizilien ein verheerendes Erdbeben, bei dem rund 60 000 Menschen starben. Danach erfolgte der Neubau von Städten wie Ragusa, Noto und Modica, deren Architektur man oft als steinerne Gärten bezeichnet. „Für mich ist die Grotta e Carrubo ein Ort, der seine Umgebung widerspiegelt“, versucht Rui ihre Liebe zusammenzufassen. Hier zelebriert sie die Ästhetik des Unvollkommenen – und die altehrwürdige Schönheit Siziliens.
Text: Valerie Präkelt
Fotos: Monica Spezia für Living Inside