Das Leben verläuft nicht immer wie erwartet. Einrichterin Hester Stolk kennt sich aus mit zweiten Chancen und war genau die Richtige für ein halb fertiges Haus in der Nähe von Amsterdam.
„Das geht besser“, sagte Hester Stolk erst leise zu sich selbst und anschließend mit voller Überzeugung dem Architekten, während sie die Entwürfe und Arbeiten für den Umbau ihres Hauses verfolgte. Wenig später zeichnete sie eigenhändig Skizzen für das Treppendesign, stimmte sich mit dem Londoner Bauamt und diversen Handwerkern ab. „Irgendwie hat es sich von Anfang an natürlich angefühlt, Pläne zu zeichnen und festzustellen, wie Räume besser aussehen oder funktionieren könnten. Also habe ich auf meine Intuition gehört und das Ganze selbst in die Hand genommen.“
Aus dem privaten Interior-Takeover entwickelte sich wenig später der Entschluss, ihren Job als Unternehmensberaterin an den Nagel zu hängen und sich in der Einrichtung zu versuchen. Das bereits vorhandene Gespür verfeinerte und erweiterte die Niederländerin an der renommierten Inchbald School of Design in London mit fundiertem Knowhow. Die Fähigkeit für räumliches Denken und ihr eigener kosmopolitischer Style, der unter anderem durch Stationen in Frankreich und England geformt wurde, brachten ihr nach dem Studium schnell erste Projekte in Paris und Amsterdam ein. Die Grachtenstadt ist heute sowohl Wohnort als auch Stützpunkt des 2010 von ihr gegründeten Architektur- und Interiordesign-Studios Büro Kif. Mit ihrem Team widmet sich die Einrichterin einzelnen Raumprojekten bis hin zu schlüsselfertigen Übergaben.
Ihre Handschrift sowie das Verständnis für Farben und Materialien ließ auch die Bewohnerin des kleinen blauen Hauses nahe Amsterdam auf sie aufmerksam werden. Und auch Hester wurde aufmerksam, als sie diese Nachbildung eines Baus aus dem 17. Jahrhundert zum ersten Mal betrat. „Die Architektur war bereits makellos, aber es fehlten Türstöcke, Fensterrahmen und die Malerarbeiten waren unfertig. Es wirkte, als hätte man mitten im Ausbau aufgehört.“ Wie richtig die Interiordesignerin mit dieser Vermutung lag, erfuhr sie wenig später bei einem ersten Briefing. Hinter der neuen Fassade verbarg sich eine schmerzliche Geschichte: Während der Bauphase erkrankte der Hausherr schwer und verstarb wenig später, weshalb alle Arbeiten stillgelegt wurden.
Mit dem Engagieren von Hester sollten wieder Farbe und Freude in die Räume einziehen. Der Wunsch: „Ein Zuhause, das gelebt wirkt, anstatt durchdesignt zu sein. Die Bewohnerin ist Immobilienmaklerin und weiß daher genau, wie fertige Häuser aussehen sollten oder eben nicht. Sie wollte, dass es ‚geborgenheid‘ ausstrahlt, wie wir hier auf Holländisch sagen“, erinnert sich die Stilexpertin.
Als Erstes widmete sich Hester den Architraven, also tragenden Querbalken, den Sockelleisten und dem Boden, um das angefangene Grundgerüst fertigzustellen. Dann wurden Wände und Schränke gestrichen oder tapeziert, Stoffe ausgewählt und Möbel kuratiert. „Obwohl nichts am Grundriss geändert werden musste, gab es einiges zu tun. Also haben wir eine lange To-do-Liste gemacht und ein Häkchen nach dem anderen gesetzt.“
Wie bei fast allen Projekten von Büro Kif zieht sich auch in diesem ein blauer Faden durch das Interior. „Irgendwie ist die Farbe zu unserem Markenzeichen geworden. Das verrät schon ein Blick auf unseren Instagram-Account. Es wirkt, als würde unser Regenbogen nur aus verschiedenen Blautönen bestehen“, stellt Hester belustigt fest. Für den offenen Wohn-Ess-Bereich entschied die Ästhetin sich für eine Seegrastapete in sanftem Blau, die mit ihrer Struktur optische Tiefe in den lichtdurchfluteten Raum bringt. „Eigentlich hatte sich die Bewohnerin hier eine dunkelblaue Wand gewünscht, aber das hätte nicht gepasst und uns bei der restlichen Gestaltung limitiert.“
Statt der Wohnzimmerwand bekamen schlussendlich die Küchenfronten einen dunkelblauen Anstrich und wurden mit modernen Messinggriffen ausgestattet. Für einen gestalterischen Twist sorgt die offene Vitrine, die Hester mit einem Design von Kelly Wearstler tapezieren ließ. Auch das Treppengeländer wurde als verbindendes Element in Blau gestrichen und führt entlang einer elysischen Chinoiserie-Tapete in die oberen Stockwerke.
Im Schlafzimmer scheute die Interiordesignerin sich trotz Dachschrägen nicht, ein Hahnentrittmuster rundherum bis unter die Decke anzubringen. Damit transformierte sie den hohen Raum in einen stylishbehaglichen Rückzugsort. Genauso großzügig wie Tapeten setzte die Textilenthusiastin auch Stoffe ein.
„Ohne die Stoffe war die Akustik schrecklich – es fühlte sich an wie in einem Goldfischglas.“
Während Kissen und Polsterbezüge ins Auge fallen sollten, wählte sie die Vorhänge in allen Räumen bewusst zurückhaltender. Neben den Textilien bringen sukzessiv gesammelte Vintage-Stücke die gewünschte gelebte Atmosphäre mit sich. „Vintage-Design bekommt man überall und nirgends. Das ist der Preis, damit nicht alles gleich aussieht.“ Dass sich das Durchhalten lohnt, stellt nicht nur Hester stets aufs Neue fest. „Letztens hat mich die Bewohnerin mit einem Anruf überrascht, weil sie jeden Morgen beim Heruntergehen der Treppe ein Glücksgefühl überkommt“, berichtet sie freudig. Wie heißt es doch? Ende gut, alles gut.
Fotos: Alan Jensen / Living Inside