Kunst und Architektur im Dialog: Drei junge finnische Künstler, die man sich merken sollte, beleben Frankreichs letztes erhaltenes Aalto-Bauwerk. Ein digitaler Besuch.

Der Ausstellungsort: Ein (fast) unbekanntes Bauwerk von Alvar Aalto

Kunst braucht eigentlich nur eines – einen Betrachter. Natürlich ist es am Schönsten direkt vor dem Original zu stehen, doch zwingend notwendig ist es nicht, um dessen Aussage zu verstehen. Vielleicht liegt gerade in der virtuellen Annäherung der Vorteil einem manchmal etwas vernachlässigten Aspekt – dem Ausstellungsort – mehr Bedacht beizumessen und damit der Wechselwirkung von Kunst und Kontext die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

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Ein langezogenes Pultdach zeichnet die Form des Hügels in der Architektur fort. Foto: Kaminoto

Das Maison Louis Carré, übrigens das einzige heute in Frankreich erhaltene Gebäude des finnischen Architekten Alvar Aalto, ist höchstens bekennenden Aalto-Fans ein Begriff. Zwischen 1956 und 1959 hatte er das Haus in Bazoches-sur-Guyonne bei Versailles für den Kunsthändler Louis Carré entworfen.

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Alvar Aalto beherrschte das kunstvolle Wechselspiel zwischen Architektur und Natur: Je nach Blickwinkel hebt sich das Gebäude bewusst von der Landschaft ab. Foto: Jari Jetsonen

Carré führte zu jener Zeit eine erfolgreiche Galerie in Paris und war durch die mit ihm befreundeten Künstler Alexander Calder und Fernand Leger auf Alvar Aalto aufmerksam geworden. Aaltos Ansatz, ein Haus als Gesamtkunstwerk zu gestalten, schien ihm für seinen Wunsch nach einem Domizil für seine umfangreiche Privatsammlung gerade richtig – hier wollte er sie guten Kunden zeigen können.

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Terrassen verankern das Haus auf dem Hügel und schaffen einen fließenden Übergang zwischen Natur und Architektur. Foto: Kaminoto

Alvar Aalto platzierte das Gebäude auf einem Hügel mit Blick nach Süden und ließ das stufenartig abfallende Pultdach dabei wie eine Verlängerung des Hügels erscheinen. Die klaren Linien der äußeren Erscheinung setzte er ein organisch geformtes Interieur entgegen.

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Im Speisezimmer neben der Privatgalerie dinierte man mit Blick auf die Kunst.
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Alvar Aalto entwarf neben Einbauten auch die komplette Einrichtung des Hauses.

In der Eingangshalle präsentierte der Hausherr seine Sammlung, um danach im Speisezimmer nebenan mit seinen Gästen zu dinieren oder über eine Wendeltreppe in den Salon zum gemütlichen Teil des Abends überzugehen. Eine große Fensterfront öffnet diesen Raum zur umgebenden Natur mit Blick über die grasbewachsenen Hügel und heute auch auf den Wald von Rambouillet.

Die Ausstellung

Unter dem Titel „Call to the wild“ kuratierten Louise Coirier von der belgischen Gallerie Spazio Nobile und Kati Laakso vom Finnish Cultural Institute for the Benelux eine Ausstellung, die Alvar Aaltos Bauwerk mit finnischer Gegenwartskunst in Beziehung setzt. Gemeinsam ist allen die Durchdringung und Verbindung von Kunst und Natur, traditionellen Materialien und neuen Technologien, Fantasie und Wirklichkeit.

Kustaa Saksi: Verwobene Welten

Der in Amsterdam lebende finnische Künstler Kustaa Saksi, der auch als Grafikdesigner für Marken wie Marimekko, Nike oder Salvatore Ferragamo arbeitet, bedient sich in seinen textilen Werken des Storytelling mittels Muster. Themen wie unterschiedliche Bewusstseinszustände, beispielsweise die verschiedenen Stadien zwischen Traum und Erwachen, setzt er in surreal anmutenden, oftmals kaleidoskopartig geometrischen Strukturen um.

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Gewebte optische Illusion: „Battle of Harapouri“. Seine Arbeitsweise bezeichnet Kustaa Saksi als „action painting with warp and weft“.
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Für „Zenith“ verwob er Mohair, Merinowolle, Baumwolle und Acryl.
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Auf Jacquardwebstühlen entstehen Kustaa Saskia fantastische Szenerien. Foto: Jussi Puikkonen

Laura Laine: Die Energieumwandlerin

In gläsernen Skulpturen erforscht Künstlerin und Illustratorin Laura Laine, wie Erinnerungen von Gefühlen, Gerüchen und anderen sinnlichen Eindrücken in Räumen, Pflanzen oder unbelebten Objekten eingefangen werden können und diese dabei verändern. Gerade Glas, das in seiner Enstehung verschiedene Phasen durchläuft, sieht sie dabei als Material, das Formen in einer Übergangsphase besonders gut zum Ausdruck bringt. Laines surrealistische Zeichnungen weiblicher Charaktere wurden bisher unter anderem in Vogue oder The New York Times veröffentlicht.

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Für ihre Glasskulptur „Nude“ aus „The Wet Collection“ interpretierte Laura Laine Illustrationen des deutschen Zoologen Ernst Haeckel.
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In der mundgeblasenen Glasskulptur „Love Study“ will die Künstlerin verdeutlichen, dass gleich dem menschlichen Körper, der Erinnerungen speichert, auch Objekte diese Energien wiedergeben können.
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Die finnische Werbe- und Magazinillustratorin Laura Laine lebt und arbeitet in Helsinki. Foto: Diana Luganski

Kim Simonsson: Waldbewohner aus einer anderen Zeit

Mit seinen lebensgroßen Keramikfiguren der Serie „Tales of the Moss People“ führt Kim Simonsson den Betrachter in eine märchenhafte von den Wäldern Finnlands inspirierte Welt. Die grüne moosartige Oberfläche seiner trollartigen Wesen entwickelte er beim Experimentieren mit Nylonfasern. Nachdem er eine Skulptur schwarz bemalt hatte, bestäubte er sie mit neongelben Nylonfasern, die durch den dunklen Untergrund grün erscheinen.

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Kim Simonssons kindlich unschuldige Figuren tragen Dinge bei sich, die an Indianer oder Schamanen erinnern und ihre Verbundenheit mit der Natur, aber auch Unabhängigkeit symbolisieren.
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„Sie leben in der Zukunft“, erklärt der Künstler mit einem Studio in der Künstlerkolonie Fiskars Village bei Helsinki. „Unsere Zeit ist für sie früher.“
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Seine Keramikfiguren überzieht Kim Simonsson mit farbigen Nylonfasern. Foto: Jefunne Gimpel

Wer die Inszenierung live erleben will: Die eigentlich für März bis Juni geplante Schau wird aufgrund der derzeitigen Situation wohl von Juni bis September 2020 zu sehen sein.

www.maisonlouiscarre.fr