Zusammen mit ihrem Mann Peter Joehnk leitet sie das 40 Mann und Frau starke Team von Joi-Design in Hamburg. Es gilt das Motto: Design ist der beste Concierge. Wir trafen die Interiordesignerin für DECO HOME Ausgabe 1/19 zum Interview.

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Hotel Capri by Fraser, Berlin

Worauf achten Sie als Erstes, wenn Sie zum ersten Mal privat in ein Hotel kommen?

Ich gebe zu, ich kann privat und beruflich nicht mehr voneinander trennen. Mein Mann und ich haben irgendwie verlernt, Urlaub zu machen. Wenn wir einen Termin im Ausland haben, hängen wir natürlich einen Tag oder auch mal ein Wochenende dran. Das sind unsere Urlaube. Dieses Jahr haben wir aber tatsächlich eine ganze Woche privat in Shanghai verbracht – und jetzt kommt es: Ich habe mir elf Hotels angeschaut. Das ist für mich wie ein Museums- oder Konzertbesuch. Ich mache das wirklich sehr gerne. Ich lerne, lasse mich inspirieren.
Wir arbeiten oft für Hotelgruppen, die es auf der ganzen Welt gibt. Da geht es auch immer um Kulturen und Gepflogenheiten. Wenn wir für das Hilton in München planen, möchte ich natürlich sehen, wie sich das Hilton in Washington, Shanghai oder New York präsentiert. Ich achte auf die Unterschiede und darauf, was wichtig für uns ist.
Ich bleibe dann oft schon vor dem Haus stehen und schaue mir an, wie das mit dem Eingang funktioniert: Wie kommt man ins Hotel? Und wenn ich es betreten habe, bleibe ich erneut stehen und beobachte, wie alles abläuft: Wie orientiert man sich im Raum? Wie fühle ich mich, berührt mich etwas? Dann überlege ich, was es ist. Das ist oft einfach ein bisschen Platz, um mich zu orientieren. Nicht direkt irgendwo reinfallen oder am besten noch draufknallen. Ich mag es, wenn man sich erst mal einen Eindruck verschaffen kann.

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Hotel Capri by Fraser, Berlin

Wie sollte eine Lobby gestaltet sein?

Wir nennen das „sense of arrival“. Das bedeutet: Sie muss einladend sein. Das klingt sehr, sehr einfach, ist es aber überhaupt nicht. Ich komme rein, lasse den Blick schweifen – und dann passiert es. Ich lächle, es gefällt mir. Ein Lächeln auf die Lippen bringen, das ist es, worum es geht.
Beeinflussen die neuen Designhotels die Art, wie Menschen sich zu Hause einrichten?

Ja, aktuell ja. Aber ich habe das Gefühl, es geht immer hin und her mit dem Einfluss. Die allerersten Designhotels eröffneten vor etwa 20 Jahren. Vorreiter waren Philippe Starck und Ian Schrager, die sozusagen das Boutique-Hotel begründet und damit Impulse für den Wohnbereich gegeben haben. Natürlich eher für designaffine Leute.
Ich kann mich erinnern, dass wir damals auch mal eine Privatwohnung gestaltet haben und dieser markante Philippe-Starck-Stil ein absolutes Vorbild war. Und dann, so vor zehn Jahren, drehte sich das. Die ersten Boutique-Hotels wirkten ja eher wie eine Bühne, da hatte man regelrecht Schwellenangst. Also sollte alles wärmer und gemütlicher werden. Und da kamen die Einflüsse plötzlich aus dem Zuhause ins Hotel. Dieser Look wurde in den Briefings „residential“ genannt. Und jetzt ist es gerade sehr wohnlich und gemütlich geworden. Jedes Hotel nennt seine Lobby mittlerweile Wohnzimmer.
Es gibt viele stylishe Hotels, die mit einzelnen Elementen einen Impuls für zu Hause geben. Das sind Dinge wie zum Beispiel ein Schaukelstuhl, der einem so gut gefällt, dass man ihn ebenfalls haben möchte.

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Trendsuite im Radisson Blu, Frankfurt

Was sind die Säulen Ihrer Planungsarbeit?

Wir haben für uns Werte festgelegt, die für alle Projekte gelten, weil die ja immer sehr verschieden sind und es auch sein sollen. Das ist unser Anspruch. Wir ziehen nichts aus der Schublade. Zunächst sollte immer ein Bezug zur Kultur der Stadt bzw. des Ortes da sein. Aber nicht banal, wie zum Beispiel in Paris der Eifelturm, sondern ganz konkret auf die Historie oder die direkte Nachbarschaft. Was ist in diesem Quartier bedeutend? Unser Konzept ist nie nur dekorativ, sondern am Ort verankert.
Außerdem ist uns immer wichtig, einen modernen Spritzer mit reinzubringen. Gerade im Luxusbereich war das gute alte Grandhotel noch bis vor wenigen Jahren in den Köpfen verwurzelt. Man dachte, ein Hotel muss Messingrohre und geblümte Teppiche haben. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Wir versuchen, das Jahr 2019 ablesbar zu machen, auch wenn wir uns in einem Gebäude mit Denkmalschutz befinden. Damit kein Museum entsteht, sondern Spannung. Wie weit man dabei geht, kann ja diskutiert werden.

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Hotel Capri by Fraser, Berlin

Ein dritter Punkt sind Entdeckungen auf den zweiten Blick. Leise Details, die man erst wahrnimmt, wenn man über einen guten Boden läuft und ihn fühlt oder etwas entdeckt, wenn man eine Schublade öffnet. Wir haben mal am Bett eine kleine Spieluhr angebracht. Es gab einen kleinen Knauf, an dem man ziehen musste, und dann hörte man eine Gute-Nacht- Musik. Leise Dinge, die überraschen. Und ganz, ganz wichtig neben Design auf den ersten oder zweiten Blick sind gute Materialien.
Gerade in Bezug auf Umweltschutz. Da muss in der Hotellerie noch viel getan werden. Immerhin kann man jetzt schon überall Fahrräder ausleihen. Man bekommt immer häufiger Glaskaraffen mit Wasser. Bei den Handtüchern gibt es da schon länger gute Ansätze. Aber ganz ehrlich: In der Realität nehmen die Zimmermädchen sie dann doch der Einfachheit halber mit. Aber es wird besser! Wir diskutieren und kämpfen für echte, gute Materialien. Die sind natürlich teurer in der Anschaffung und aufwendiger in der Pflege, doch sie sind auch nachhaltiger und wertiger. Dieser Punkt muss in Zukunft noch mehr verfolgt werden.
Welche Rolle spielen Stoffe bei Ihrer Arbeit?

Eine große Rolle. Dieses ganze Wohnliche, lädt mich der Raum ein oder nicht, das machen Stoffe. Sie tragen sehr viel dazu bei, dass ein Raumgefühl positiv ist. Allein schon durch ihre akustischen Eigenschaften. Gerade in der Gastronomie ist das ein großes Problem. Wenn die Speise auf dem Teller schmeckt, ich mich aber nicht richtig unterhalten kann, dann macht das das Aufenthaltsgefühl nicht besser. Ich mag eine gewisse Reichhaltigkeit, die Kissen oder ein Plaid über dem Sofa bewirken. Früher hatte man viel Angst, dass geklaut wird. Ja, das passiert, aber auch da hat sich das Bewusstsein der Gäste stark geändert. Schöne Räume werden auch gut behandelt.

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Trendsuite im Radisson Blu, Frankfurt

Wie frei sind Sie hinsichtlich der Gestaltung?

Es ist sehr viel freier geworden. Hotelgruppen hatten früher viel mehr Guidelines, also Richtlinien, was Design betrifft. Natürlich mit Blick auf Qualitäten, und das macht immer noch Sinn. Der Teppich sollte eine gewisse Stärke haben, weil er viel aushalten muss, und ein Arbeitsstuhl sollte fünf Rollen und nicht nur vier haben, weil er sonst kippelt. Natürlich gibt es wahnsinnig viele Vorschriften beim Licht und bei der Hygiene – Stichwort „Reinigungsfreudigkeit“ –, die wir beachten müssen. Aber früher ging es dabei auch ums Design. Und das wird heute immer häufiger vertrauensvoll an uns abgegeben. Einfach weil jedes Hotel anders aussehen soll. Das möchten auch Hotelgruppen. Klar gibt es hinter Marken eine Philosophie, aber wir handeln frei in deren Interpretation.
Auf einer Designbesprechung vor einiger Zeit war der Tenor ganz klar: Vergesst die Guidelines, ärgert uns, macht es uns unbequem! Da tut sich viel. Das Optimum an Andersartigkeit und Individualität soll herausgekitzelt werden. Gäste wollen keine standardisierten, uniformierten Bettenburgen mehr. Der Anspruch der Gäste ist gestiegen. Und das macht Spaß. Ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass der Anspruch mal so individuell werden könnte, aber ich finde es toll.

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Wilde Ente – Hotel Vier Jahreszeiten Iserlohn

Welches sind wiederkehrende Anforderungen?
Ganz klar und eklatant wichtig: Orientierung. Der Gast kommt rein und muss sich zurechtfinden. Ich muss einen Ort finden, wo ich Hallo sagen und einchecken kann. Das kann auch ein Automat sein. Da sind wir gerade am Übergang mit den digitalen Möglichkeiten. Beim Fliegen checkt ja mittlerweile auch jeder online ein. Dann müssen die Beschilderungen stimmen. Die Lichtverhältnisse müssen gut sein, auch für Frauen, die allein reisen. Sodass sie sich wohlfühlen und nicht irgendwo dunkle Ecken lauern. Jedes Hotel braucht ein gutes Bett und eine Dusche. Das sind die beiden allerwichtigsten Dinge, die funktionieren müssen.
Im Bad kommen Frauen noch mal stärker in den Fokus, die immer häufiger geschäftlich reisen. Und da müssen im Bad einfach bestimmte Bedürfnisse berücksichtigt werden. Wie Ablageflächen, gutes Licht am Spiegel, damit man sich schminken kann, und ein Ganzkörperspiegel. Diese Dinge sind für Männer nicht wichtig. Die hängen ihr Sakko nicht unbedingt auf einen Bügel, da reicht auch die Stuhllehne. Und dann gibt es noch zwei weitere Zimmermöbel: den Schreibtisch und den Schrank. Da wird in letzter Zeit richtigerweise viel herumdiskutiert: Was brauchen wir überhaupt noch?

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Hotel Mony, Berlin

Die Reisegewohnheiten haben sich verändert. Man braucht keine großen Schrankflächen mehr. Der Übernachtungsdurchschnitt liegt bei den meisten Hotels bei 1,3 bis 1,5 Nächten, also kann man sagen: eine Nacht. Da packt man nicht viel aus. Schränke fallen deswegen immer offener aus. Werden reduziert auf eine Stange oder coole Haken. Alternativ ein guter Kofferbock, sodass man auch einfach aus dem Koffer leben kann.
Schließlich kommen wir noch zum großen Thema Schreibtisch, weil er in der Form, in der wir ihn früher hatten, gar nicht mehr nötig ist. Im Laptop-Zeitalter kann man einfach überall in der Lobby sitzen und dabei noch einen Kaffee trinken. Es hat länger gebraucht, aber jetzt wird seine Existenz definitiv infrage gestellt. Wir hatten neulich ein Briefing, in dem stand, der Schreibtisch mit Blick auf die Wand sei verboten. Das ist mal ein Statement.
Was finden Sie unbezahlbar?

Wir nennen es die „Software“ und die ist gar nicht unser Part: Es sind die Mitarbeiter. Der erste menschliche Kontakt in einem Hotel kann sehr viel ausmachen. Viel kaputtmachen, aber auch viel positives Gefühl vermitteln. Um jedoch in diesem Zusammenhang auf die Innenarchitektur zurückzukommen: Ein Hotelmitarbeiter, der sich in seiner Umgebung wohlfühlt, kommt viel netter auf mich zu.

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Niu Cobbles by NOVUM Hospitality, Essen

Was macht gutes Hoteldesign aus?

Es muss mich inspirieren. Ich muss mich aufgehoben fühlen, muss runterfahren können.
Wollen Sie irgendwann mal ein eigenes Hotel eröffnen?

(Lacht.) Das ist tatsächlich mein geheimer Wunsch. Mein Mann und ich kennen die Höhen und Tiefen und natürlich auch die Sache mit der Wirtschaftlichkeit. Mit Hotelzimmern Geld zu verdienen, ist nicht einfach, gerade wenn man sie auch noch schön gestalten möchte. Trotzdem ist es mein Wunsch. Wer weiß, ob er jemals in Erfüllung geht, aber so acht Zimmer könnte ich mir gut vorstellen. Ich mag es, Menschen zu beobachten, und unterhalte mich gern mit ihnen. Im Hotel trifft man auf Menschen und es entstehen immer spannende Geschichten, die einen bereichern. Und ich würde es natürlich auch superschön gestalten.
www.joi-design.com

Interview: Anne Gelpke, erstmals erschienen in DECO HOME Ausgabe 1/19