Futon, Raumtrenner, Tee-Service und ein bisschen Ikebana – von wegen fertig ist japanisches Design. Zur authentischen Einrichtung gehört viel mehr, vor allem Feingefühl. Was den minimalistischen und gleichzeitig warmen Stil ausmacht, erklärt Charlotte Wiessner von Carlo Berlin anhand ihres neuesten Interior-Projekts.
Ein Traum für jeden Interiordesigner: Als sich Charlotte Wiessners Kundin für die Gestaltung ihres 120 Quadratmeter großen Penthouse in Berlin entschied, bedeutete das einen kompletten Neuanfang – ohne Mitbringsel aus dem alten Leben. Der persönliche Bezug der Bauherrin zu Japan wurde zur Leitidee. Doch um japanisches Design bis ins kleinste Detail authentisch umzusetzen, begann die Arbeit des Carlo Berlin-Teams mit der Lektüre landestypischer Stilsprache. Auf welche Besonderheiten die Einrichterin dabei stieß und was das für die Beschaffung von Material und Produkten bedeutete, lesen Sie hier.
Frau Wiessner, was genau macht japanisches Design für Sie aus?
Ganz allgemein hat das japanische Design eine besondere Form der Ästhetik. Das Zuhause ist ein Ort der Ruhe, des Zen, in dem sich die Einrichtung zurücknimmt. Die wichtigsten Bestandteile sind die Hochwertigkeit der Materialien als auch die feine Handwerkskunst. Umgesetzt wird der Stil mit dunklen Hölzern, Bambus, samtigweichen Oberflächen, Papierelementen, bestimmten Formen – so zum Beispiel authentische Eckkonstruktionen bei den Tischlerarbeiten und runde Türgriffe ohne Schlösser, mit denen die Türen aufgestoßen werden –, Ikabana und Elemente aus der Malerei.
Gibt es eine Quelle, von der Sie sich speziell haben inspirieren lassen?
Ja! Das Buch „Lob des Schattens – Entwurf einer japanischen Ästhetik“ von Tanizaki Jun’ichirō. Der Autor spricht darüber, wie die Dinge des Alltags tagsüber und abends aussehen und entwickelt anhand des Schattenwurfs seine Philosophie. Wir haben beispielsweise mit antiken japanischen Stoffen gearbeitet, darunter mit einem Kimono aus dem Bestand einer Berliner Sammlerin (der Stoff wurde zum Lampenschirm) und mit einem Obi (Kimonogürtel), dessen Goldfäden bei bestimmtem Lichteinfall besonders schön schimmert.
„Die Eleganz lackierter Flächen, das Glitzern der Gold- und Silberfäden alter Gewebe entfalten sich ausschließlich im Schattenspiel zwischen den Objekten. Farbe und Struktur japanischen Papiers rückt erst der Dämmerschein ins rechte Licht.“ Tanizaki Jun’ichirō
Zum Projekt: Gab es einen Raum, der eine besondere Herausforderung darstellte?
Obwohl es sich bei dem Penthouse um einen Neubau handelt, haben wir alles entkernt, also Bäder, Türen und Fußböden herausgenommen und lediglich Wände (mit einer Ausnahme) und Fenster belassen. Die größte Herausforderung, um im Stil zu bleiben, war die Tee-Ecke. Die musste fein und gut komponiert werden, denn der Grat, der es zum Kitschigen umkippen lassen könnte, ist sehr schmal.
Inwiefern mussten Sie „westliche“ Lieblingsstücke der Kundin berücksichtigen?
Gar nicht! Die Kundin wollte mit diesem Projekt in ein neues Leben starten – ohne Geschirr, ohne Bett, ohne alles. Wir haben die Wohnung „löffelfertig“ gemacht, vom Raumduft über die Bettwäsche bis zum Mobiliar. Unter anderem haben wir das Feast-Besteck von Serax ausgewählt, dessen Walnussholzgriffe genau den Ton des Tisches treffen.
In welche Farb-, Stoff- und Materialwelten sind Sie eingetaucht?
Das dunkle Holz wird von Grün- und Cremetönen ergänzt. Bei Grün haben wir uns zum Beispiel für die Varianten Salbei-, Oliv- und Förstergrün entschieden. Auf der Sitzbank in der Küche harmoniert ein förstergrüner Kvadratstoff mit tiefgeprägtem, gleichfarbigem Rautenmuster mit dem Holzmobiliar. Außerdem haben wir ein kleines Regal, das neben dem Sofa steht, mit Wildleder bezogen. Das Sofa und die Vorhänge wurden aus cremefarbenen Textilien gefertigt. Besonderheiten, die das Material betreffen, sind zudem die aus Walnussholz hergestellte Nohrd-Sprossenwand im Studio und die Garderobe mit einer Jalousie aus Bambusrohen, die für stimmungsvolles Licht sorgt.
Kann jedes Zuhause im authentischen, japanisches Stil eingerichtet werden?
Ich würde sagen, das ist in jeder Wohnung möglich. Ein sehr wichtiges Detail sind die japanischen Tischlerarbeiten – hier wird mit Keilen gearbeitet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Garderobe: Die Bretter werden mit dreieckigen Keilen gehalten. Außerdem sollte man japanisches Papier mit seiner speziellen Diffusität für die besondere Atmosphäre inkludieren und auf keramische Oberflächen achten. Und, ein schönes Detail: Blumentöpfe. Wir haben 30 cm hohe Terrakottaschalen mit einem Durchmesser von ca. 70 cm verwendet, auf dem Fußboden platziert und mit minimalistischen Pflanzen begrünt. Unsere europäische Interpretation von Fischmustern findet sich auf dem Kleiderschrank wieder.
Trifft Ihrer Meinung nach der minimalistische Stil den Zeitgeist?
Ich finde, sehr. Der japanische Stil ist die Konzentration auf das Wesentliche.
Und zu guter Letzt: Wo würden Sie hier Ihren Tee am liebsten genießen?
Auf der Sitzbank in der Küche. Man sitzt neben dem Fenstern und kann rausschauen und sich an der Wand anlehnen und die Füße hochlegen. Einfach total gemütlich!
Bilder: Daniel Schäfer
Wie Minimalismus in Skandinavien aussieht? Die Wohngeschichte zum Sommerhaus der Designerin Marie Hesseldahl erzählen wir →hier.