In den Geschichtsbüchern des Designs kommen Frauen viel seltener vor als Männer. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern entspricht auch nicht der Realität. Mit seiner aktuellen Ausstellung unter dem Titel „Here we are“ rückt das Vitra Design Museum deshalb das kreative Schaffen von Frauen in den letzten 120 Jahren in den Fokus. Ein Rundgang …

Hände von Jeanne Toussaint, Creative Director von Cartier, 1937, bpk | Ministère de la Culture – Médiathèque du Patrimoine, Dist. RMN-Grand Palais | François Kollar

Ob als Gestalterinnen von Möbeln, Mode oder Industrieprodukten, als Innenarchitektinnen oder Unternehmerinnen – Frauen haben entscheidende Beiträge zur Entwicklung des modernen Designs geleistet. Genau das hebt die Ausstellung „Here we are!“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein hervor. Sie präsentiert Gestalterinnen der letzten 120 Jahre und erzählt vor dem Hintergrund des Kampfs um Gleichberechtigung eine vielstimmige Designgeschichte. Damit gibt das Vitra Design Museum einen neuen, zeitgemäßen Blick auf die Historie moderner Gestaltung und liefert Denkanstöße dafür, was Design im 21. Jahrhundert sein soll, wer es definiert und für wen es da ist.

Illustration der Feministischen Plattform Futuress, 2021, © Maria Júlia Rêgo

Frauen im Design: 80 Portraits

„Here we are!“ zeigt eine Vielzahl hochkarätiger Exponate von rund 80 Designerinnen, darunter Protagonistinnen der Moderne wie Eileen Gray, Charlotte Perriand, Lilly Reich oder Clara Porset, Unternehmerinnen wie Florence Knoll und Armi Ratia, aber auch weniger bekannte Persönlichkeiten wie die Sozialreformerin Jane Addams. Zeitgenössische Positionen werden durch Frauen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Julia Lohmann oder das Kollektiv Matri-Archi(tecture) vertreten.

Alma Siedhoff-Buscher, Bauhaus Bauspiel, 1923 (2015)
© Naef Spiele, Schweiz, Foto: Heiko Hillig

Greta von Nessen, Schreibtischlampe Anywhere, 1952, © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Jung

Charlotte Perriand, Untitled / Bibliothèque Tunisie, 1952
© Vitra Design Museum, Foto : Jürgen Hans, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Cini Boeri, Tomu Katayanagi Ghost, 1987 © Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans

Patricia Urquiola, Shimmer, 2019
© Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin

Von 1900 bis heute

Die Ausstellung gliedert sich in vier Bereiche, die die Besucher auf eine Reise durch die letzten 120 Jahre Designgeschichte mitnehmen. Im ersten liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung des Designs in Europa und den USA, wo um 1900 das Berufsbild des modernen Designs entstand – zur gleichen Zeit, als Frauen öffentlich für mehr politische Mitbestimmung kämpften. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Schule Loheland, die wie das Bauhaus 1919 gegründet wurde, aber nur Frauen aufnahm.

Leben am Bauhaus: Gruppenporträt der Weberinnen hinter dem Webstuhl in der Weberei des Bauhaus Dessau, 1928 © Bauhaus-Archiv, Berlin

Weiter geht es in den zweiten Ausstellungsbereich, der sich den 1920er- bis 1950er-Jahren widmet. In dieser Ära konnten Designerinnen wie Charlotte Perriand, Eileen Gray oder Clara Porset in der nach wie vor patriarchalischen Gesellschaft erste internationale Erfolge verbuchen. Einige der in der Ausstellung porträtierten Designerinnen arbeiteten eng mit ihrem Partner zusammen, etwa Ray Eames mit ihrem Mann Charles oder Aino Aalto mit Alvar Aalto. Oft standen die Frauen dabei im Schatten ihrer Partner, doch die Ausstellung zeigt, dass sie in vielen Fällen deutlich wichtigere Beiträge zu dem gemeinsamen Werk leisteten als bislang bekannt war.

Clara Porset mit dem Modell eines Tisches, ca. 1952, Foto: Elizabeth Timberman. Esther McCoy papers, Archives of American Art, Smithsonian Institution

Ray Eames bei der Arbeit an einem Modell, 1950, © Eames Office LLC

Der dritte Bereich von „Here we are!“ thematisiert die Jahrzehnte von 1950 bis Ende der 1980er-Jahre, in denen insbesondere ab den 1960er-Jahren eine zweite Welle des Feminismus der konservativen Nachkriegsmentalität entgegentrat.

Nanda Vigo 1985 mit ihren Entwürfen Licht Tree (1984) und Cronotopo (1964) Foto: Gabriele Basilico, mit freundlicher Genehmigung des Archivio Nanda Vigo, Milano

Werbeanzeige für Liisi Beckmanns Karelia-Sessel, 1969. Mit freundlicher Genehmigung von Zanotta SpA – Italy

Die Gegenwart: Internationale Erfolge

Mit dem vierten Bereich kommt die Ausstellung schließlich in der Gegenwart an. Werke international etablierter Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Inga Sempé, Ilse Crawford oder Hella Jongerius belegen, dass Frauen im Design heute ebenso selbstverständlich international erfolgreich sind wie Männer. Zugleich präsentiert dieser Ausstellungsbereich eine Auswahl aktueller Initiativen, die veranschaulichen, wie der feministische Diskurs in Design und Architektur die Muster von Autorenschaft, Ausbildung und Anerkennung hinterfragt und mit Diversität und Intersektionalität in Zusammenhang stellt.

Key Visual der Ausstellung »Here We Are!« © Vitra Design Museum, Illustration: Judith Brugger, Objekt: Faye Toogood, Roly Poly, 2018, Foto: Andreas Sütterlin

Die Ausstellung ist bis 6. März 2022 im Vitra Museum in Weil am Rhein zu sehen. Mehr Informationen zum Rahmenprogramm, zu Öffnungszeiten und Eintrittspreisen gibt es auf der Homepage des Vitra Design Museum.

www.design-museum.de

Text: Stefanie Wolf