Sind die Zeiten von modellierten Hecken und perfekt unkrautfreien Blumenbeeten vorbei? Es scheint so! Denn 2024 wurde ein Naturgarten im nordrhein-westfälischen Velen zum Garten des Jahres ernannt.
Naturnah, überraschend, ideenreich – all diese Attribute passen zu diesem Garten, den Landschaftsarchitektin Christina Schnelting für sich und ihre Familie auf einfühlsame Art gestaltet hat. Wie schön, dass sie ihn sogar einmal im Jahr für Besucher öffnet (So, 09.06.2024, 11 – 18 Uhr). So kann man sich selbst davon überzeugen, wie sehr ein Naturgarten Bestandteil einer sensiblen Landschaft sein und gleichzeitig allen Bedürfnissen einer Familie mit Kindern genügen kann.
Naturgarten mit Geschichte
Garten und Haus mit Scheune und kleinem Backhaus liegen im Münsterland, unweit der niederländischen Grenze am Entstehungsort der Bocholter Aa. Beweidete Wiesen und artenreiche Feuchtwiesen grenzen an das Grundstück, liegen aber deutlich niedriger. „Das 1911 erbaute Holzständerhaus war einst das Verwaltungsgebäude der nahen Schlossmühle auf der anderen Flussseite, daher zeigt der alte Baumbestand noch heute Parallelen zum Schlosspark“, erzählt Christina Schnelting. Von Anfang an begreift sie die alten Bäume, darunter eine ca. 120 Jahre alte Blutbuche nah am Haus, als Geschenk. So erhält jeder dieser Baumveteranen in ihrem Konzept seine besondere Rolle und ist integraler Bestandteil der Gestaltung.
Starker Kontrast
Allerdings gleicht das Grundstück zu Baubeginn einem Wald aus hohen Fichten und Kirschlorbeer, die zunächst weichen müssen, um den genius loci herauszuarbeiten. „Durch die Lage am Fluss und den geschichtlichen Hintergrund des Hauses war es wichtig, die Aspekte Wasser und Feuchtwiesen in das Konzept zu integrieren. Da Holz und Wasser gut harmonieren, war die Idee der Stege, die durch Staudenbeete führen, schnell geboren“, erklärt die junge Landschaftsarchitektin. Statt organischer Formgebung entschied sie sich für klare Linien, um der naturnahen, „wilden“ Bepflanzung einen starken Kontrast entgegenzusetzen.
Regionales Material
So geben der 45 m lange Steg, sowie die Wege und Beete mit ihrer Linearität der ungezügelten Welt der Stauden und Gräser einen wohltuenden Rahmen. Der Steg und die schwebende Holzterrasse stellen eine Verbindung zwischen Garten und Feuchtwiese her. Der Blick wird in Richtung Feuchtwiese gelenkt, und ein Übergang vom Garten in die ursprüngliche Natur entsteht. So ergibt sich eine Raumaufteilung, die mit der üblichen Gliederung in Rasenfläche, Terrasse und Kinderspielbereich bricht und einzelne Elemente wie Schaukel, Feuerschale, Hängematte und Sandkasten unauffällig integriert. Dabei geht die ruhige Atmosphäre des Naturgartens nicht verloren. Dazu tragen auch die regionalen Materialien bei, die mit den Gebäuden harmonieren: Herdecker Ruhrsandstein für den Hauptweg, die Trittplatten und Beeteinfassungen sowie Stadtlohner Riemchen für die Terrasse, übrigens ein Abfallprodukt aus der Tonproduktion in der Region. Holzdeck und Steg sind aus naturbelassenem Lärchenholz.
Naturnahe Bepflanzung
Passend zum Thema Wasser ist auch die Bepflanzung am Steg mit u. a. Blutweiderich (Lythrum salicaria) oder dem eindrucksvollen, bis zu zwei Meter hohen Wasserdost (Eupatorium fistulosum oder auch Riesenschirm) gewählt. Beide Arten lieben einen feuchten Standort und sind sehr gute Insektenweiden. In den weiter oben liegenden Beeten zwischen Blutbuche und Wildblumenwiese dominiert der Wiesencharakter mit zahlreichen Gräsern und Stauden wie Kratzdistel (Cirsium rivulare), Natternkopf (Echium vulgare) oder Teufelsabbiss (Succisa pratensis). Die insektenfreundlichen Stauden sind so gruppiert, dass sie mit den eingestreuten Gräsern den natürlichen Charakter des Naturgartens prägen.
Grüner Hafen
In Richtung Scheune fangen Rasenstufen aus Cortenstahl in unregelmäßigen Tiefen den Höhenunterschied zwischen Feuchtwiese, Garten und angrenzender Holzscheune ab. „Am Ende der Stufenanlage liegt ein altes Holzboot, das als Sandkasten genutzt wird. Nach einem Starkregen im Jahr 2016 stand die ganze Wiese unter Wasser. Der heutige ‚Grüne Hafen‘ soll daran erinnern“, erzählt Christina Schnelting. Und welcher Spielplatz könnte wohl besser zu dieser vom Fluss und seiner Ökologie geprägten Landschaft passen?
Das Buch zur Geschichte:
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