Dirk Hohnsträter ist Kulturwissenschaftler und Leiter der Forschungsstelle Konsumkultur an der Universität Hildesheim. In seinem Buch „Qualität!“ plädiert er für eine lebensfrohe Neugier, ebendiese zu entdecken. Wir haben mit dem Autor in den Räumen der Porzellanmanufaktur Nymphenburg in München ein bisschen „Quality Time“ verbracht. 

Welcher Ort könnte für ein Gespräch über Qualität, Handwerk, (Konsum-)Kultur und hochwertige Materialien besser geeignet sein als die Porzellanmanufaktur Nymphenburg. Hier, im Nördlichen Schlossrondell vor dem Schloss, wird seit 1761 das „Weiße Gold“ hergestellt. Entwickelt werden die Objekte ausschließlich nach Entwürfen zeitgenössischer Designer und Künstler.

In der Formerei werden Porzellan und Tier zum Leben erweckt. Bild: Kathrin Koschitzki
Im manufaktureigenen Farblabor entsteht auch das ikonische Nymphenburg-Blau. Bild: Kathrin Koschitzki
Tierschale Hase ist ein Entwurf von Hella Jongerius. Bild: Brandl-Utzt

Lieber Herr Hohnsträter, was war Ihr bislang größter Fehlkauf?

 Ich habe mir ein Kleingeld-Portemonnaie einer italienischen Luxusmarke zugelegt. Bald tauchte unter dem Saffianleder billiger Kunststoff auf. 

Es lag also an der mangelnden Qualität?

 Meine Erwartung war eine völlig andere. Ich hatte das Portemonnaie für viel Geld gekauft und nun stellte es sich als handwerklich schlecht gemacht heraus. Schon das Konzept war in sich fragwürdig. Es wurde nicht nur am Material gespart, sondern auch noch so gefertigt, dass die mindere Qualität zum Vorschein kam. 

 War das ein Auslöser, das Buch „Qualität!“ zu schreiben? Und gibt es Wunschleser? 

Als Wissenschaftler und Privatmensch beschäftige ich mich allgemein mit Konsumkultur. Da hatte sich Wissen angesammelt. Das wollte ich zusammentragen. Und das Thema ist aktueller denn je. Mein Buch richtet sich an alle, die auf dem Sprung sind, ihr Leben anders zu gestalten, aber unsicher sind, worauf man bei der Wahl von materiellen Dingen achten sollte. 

Neugierig? Das Buch beispielweise hier kaufen*

 Ihr Vater ist Sattler und Raumausstatter: Hat die Erfahrung, in einem Handwerksbetrieb aufzuwachsen, Ihre Qualitätssinne geschärft? 

Das hat mich offenbar so geprägt, dass ich es als Einstieg ins Buch gewählt habe. Ich habe oft in der Werkstatt geholfen und Knöpfe mit Stoff bespannt. Diese Knopfmaschine musste man von Hand drehen, und zwar mit dem exakt richtigen Druck, sonst fiel alles auseinander. Meine Lehre war also: Man muss seine Sache gut machen, damit die Dinge etwas taugen. Zudem hat sich mein Vater oft über das mangelhafte Innenleben von Polstermöbeln beklagt. 

Sarah Gauss ist Sattlerin und Polsterin mit eigenem Werk in Biberach
„Es wird nach wie vor sehr viel Uni verarbeitet. Mustertechnisch sind geometrische Formen sehr beliebt.“ Sarah Gauss' Herz schlägt jedoch ganz besonders für Fischgrätmuster
Nachhaltigkeit und Langlebigkeit sind ein wichtiges Thema für die Handwerkerin. In ihrer Polsterei verarbeitet sie gerne „recycelte“ Stoffe aus PET Flaschen oder z.B. recycelte Baumwolle oder Loden
www.sarahs-polsterwerk.de / Bilder: AJ Photography

 Starten wir allgemein: Woran erkenne ich gute Qualität? 

Es gibt vier klassische Qualitätsmerkmale. Erst einmal geht es um gutes Material und eine gute Verarbeitung. Dann muss die Funktion stimmen. Kurz gesagt: Eine Teekanne sollte nicht tropfen. Das vierte Merkmal ist die Form. Hier unterscheide ich zwischen Qualität und Stil. Ich kann verschiedene Stile in unterschiedlicher Qualität vorfinden. Ob ich es minimalistisch oder barock mag, unterliegt zunächst einmal meinem Geschmacksempfinden. In der Geschichte hat man oft bestimmte Stile automatisch mit guter Qualität verknüpft, so etwa die klassische Moderne, und dann beispielsweise den Jugendstil abgewertet. Das ist sicherlich falsch. Wir müssen zwischen Geschmacks- und Qualitätsurteil unterscheiden. 

 Worauf kann ich noch achten? 

An die Wirkung eines Gegenstandes wird oft nicht gedacht. Hier geht es um das Wechselspiel zwischen einem Objekt und der Person. Wenn ich mich intensiv mit Wein beschäftige, lerne ich, mein Urteil genauer zu fällen. Der Gegenstand oder das Lebensmittel hat eine intensive Wirkung, macht mir Freude und begeistert mich. Ich kann so etwas wie einen Wow-Effekt erleben. Wichtig sind zudem ethische Aspekte. Wie werden die Menschen in den Herstellerländern behandelt? Wie sieht der ökologische Fußabdruck aus? 

 Was kann ich tun, um mein Qualitätsbewusstsein zu schärfen?

Es ist nicht verkehrt, sich erst einmal auf einen Bereich zu fokussieren. Das kann man machen, indem man liest oder sich mit Leuten unterhält, die Bescheid wissen, Eismachern, Kaffeeröstern, Sommeliers. Oder man besucht eine Werkstatt oder Fertigung. Im Laufe der Zeit entwickelt man ein besseres Gespür, verfügt über ein verinnerlichtes Wissen. 

Qualität basiert auf Wissen und Erfahrung. In der Manufaktur Nesmuk arbeiten Gold- und Damastschmiede
Handwerk oder Kunst? Das Ergebnis ist auf jeden Fall zeitlos – und hält bis in die Ewigkeit
Das Sortiment umfasst acht verschiedene Messerformen – von Brot- bis zu Steakmessern

Was kann ich tun, wenn mir die Zeit zur Auseinandersetzung fehlt? Gibt es Ankerpunkte wie ein Siegel, eine Marke – oder doch der Preis? 

Sie sollten sich immer fragen, ob der Kauf wirklich sofort getätigt werden muss. Nach längerem Warten und Recherchieren endlich das Richtige zu besitzen, bereitet langfristig Freude. Anhaltspunkte können bestimmte Marken oder Händler sein. Ich finde, dass Händler mitunter sehr gute Qualitätsexperten und Ratgeber sind. Sie wollen ja nicht nur einmal etwas verkaufen, sondern immer wieder. Oft sind es Enthusiasten. Sicher kein Qualitätsindikator ist der Preis. Das eingangs genannte Portemonnaie hatte einen stolzen Preis, taugte aber wenig. Natürlich gibt es Objekte, die können nicht billig sein, aber die sind dann teuer, weil sie gut sind, und nicht gut, weil sie teuer sind. Darauf muss man achten. Ich will damit nicht sagen, alles ist zum niedrigen Preis möglich. Aber Studien signalisieren ganz klar: Der Preis ist erst einmal nur ein Knappheits-, kein Qualitätsindikator. 

Und auch ein Distinktionsmerkmal? 

Sicherlich gibt es Menschen, die mit teuren Dingen beeindrucken wollen. Aber das sagt nichts aus über die Qualität dieser Dinge. Es führt nur weg von den interessanten Fragen. 

Können wir die Parameter: Materialkreisläufe, Energieeinsatz und Reparierbarkeit – so zitieren Sie den Designer Stefan Dietz – überhaupt beurteilen?

Das ist nicht leicht. Aber ich kann zum Beispiel einen Schreibtisch für mein Kind aussuchen, den es auch im Studium noch benutzen kann, wie etwa einen Eiermann-Tisch. Es geht darum, Spielräume und Möglichkeiten zu nutzen, um Dinge anzuschaffen, an denen man lange Freude hat oder die man auch wieder reparieren oder aufarbeiten kann. 

Kinderschreibtisch Eiermann über Manufaktum

Diese Dinge haben ihren Preis …

Richtig. Aber was Preis und Wert betrifft, sollte man immer den Zeithorizont mitdenken. Fünf Paar Turnschuhe, die ich über fünf Jahre trage und dann wegwerfe, kosten vermutlich mehr als ein Paar nachhaltige Sneakers. Es wird ja auch viel gekauft und dann nicht einmal benutzt oder getragen.

Werden wir konkret: Welche Schritte führen zum Kauf eines guten Sofas? 

Schauen, umsehen, vergleichen! Auf die Wirkung als Qualitätskomponente zu achten, ist ein wichtiger Schritt. Also auch das Ausprobieren, Probesitzen und -liegen. Einen Hersteller zu wählen, der Einblick in die Fertigung gibt. Ich möchte immer wissen: Wie und wo wird es gemacht und was steckt drin? 

Was Togo zu einem richtig guten Sofa macht, lesen Sie in der DECO HOME 01/22

Sie rufen zu einer „Sinn schulenden, entdeckerischen Lebenskunst“ auf. Wie sieht die aus? 

Ich will nicht missverstanden werden im Sinne von: Wenn du die richtigen Dinge besitzt, bist du glücklich. Es gibt genug Gründe, sich gut gemachte Dinge nicht zu kaufen. Wenn man ein nachhaltiges Mobilitätsverständnis hat, zum Beispiel, braucht man nicht unbedingt ein Auto. Entdeckerische Lebenskunst macht das Leben reicher und schöner. Man kann sich über guten Wein oder gute Lebensmittel austauschen. Man kann sich auf den Weg machen und ein Stadtviertel erkunden. 

Was war Ihr bislang glückstiftendster Kauf ?

Mir fällt ein Erlebnis ein: ein Abendessen in einem guten Lokal. Natürlich kauft man das, aber im Vordergrund steht eine Erfahrung, an die man sich lange erinnern kann und die Freude bereitet. 

Weitere Infos zum Buch „Qualität“ von Dirk Hohnsträter über www.brandstaetterverlag.com. Dieses Interview erschien erstmals in DECO HOME Ausgabe 5/21.

Text: Anita Güpping

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