Vor allem geht es Dr. Barbara Perfahl beim Thema Wohnpsychologie darum, dass ihre Kunden die Perspektive wechseln: Von „was finde ich schön“ zu „was sind eigentlich meine Bedürfnisse“. Außerdem erklärt die Expertin warum man einfach mal machen muss und was der Flur mit einer Zwiebel zu tun hat.
Liebe Frau Perfahl, welche „Wohnprobleme“ sind Ihre häufigsten Fälle?
Zumeist kommen meine Kunden mit einer diffusen, etwas schwer zu greifenden Unzufriedenheit hinsichtlich ihrer Wohnräume auf mich zu. Grund kann eine Veränderung im Leben sein, an die sich die Räume noch nicht angepasst haben – die Kinder sind ausgezogen, durch einen neuen Beruf hat man einen anderen Lebensrhythmus etc.! Manchmal werden mir aber auch ganz konkret Einrichtungsfragen gestellt oder ich begleite einen Planungsprozess, zum Beispiel beim Umbau. Und dann gibt es die Kunden, die ihr Zuhause nach ihren Wohnidealen und nicht nach ihren Wohnbedürfnissen eingerichtet haben.
Was bedeutet das genau?
Wohnideale und -bedürfnisse sind nicht unbedingt deckungsgleich. Erstere speisen sich aus früheren Erfahrungen, äußeren Eindrücken, Wohnideen anderer – sprich einem vorgelebten, vermeintlichen Leitbild. Das Bedürfnis bezieht sich auf die eigene Person, wie man gestrickt ist, in welchen Räumen man sich warum wohlfühlt. Man guckt also zuerst auf sich selbst und sollte auch die Intuition mitbestimmen lassen, dann schaut man auf die äußeren Aspekte. Wenn Ideale und Bedürfnisse nicht passen, hat die sogenannte „Aneignung“ nicht funktioniert. Das ist dann wie ein kratzendes oder zu kleines Kleidungsstück – optisch schön, aber eben nicht richtig für mich.
Welchen Ansatz verfolgen Sie bei der wohnpsychologischen Beratung?
Die beiden Ziele sind: einen Perspektivenwechsel zu erreichen und ins Tun zu kommen. Die meisten Kunden sind überrascht, wenn wir durch alle Räume gehen und ich das Gespräch mit: „Na, dann erzählen Sie mal …“ beginne. Dann vertieft man den Austausch und hinterfragt, warum die Einrichtung bisher so war, was ist der Sinn dahinter. Und: Warum wird das Umräumen oder die Veränderung im Kopf schon seit Jahren geplant, aber nie umgesetzt? Oft zieht der Gedanke einer Handlung einen Rattenschwanz an Tätigkeiten nach sich, die zwar nicht den Wunsch, aber die Ausführung im Keim ersticken.
Das wichtige ist, aktiv zu werden und auszuprobieren, was ein verschobenes Sofa oder eine andersfarbige Wand mit einem macht. Vieles lässt sich zu zweit oder mit Ersatzobjekten wie Stühlen oder einer Decke ganz leicht testen. Hier beginnt die zweite Ebene der Raumpsychologie: Wir wirken Räume auf uns, wie kann ich die Reizkomplexität reduzieren und Reizkonstellationen verändern, also mein Wohlbefinden in einem Zimmer gemäß Wohnpsychologie steigern? Ob man umstellt oder Möbel entfernt– wenn es nicht passt, sind es nur wenige Handgriffe zurück in die Ausgangsposition, auf jeden Fall wird so aber die Angst vorm ersten Schritt genommen.
Können Sie den Begriff Wohnbedürfnis anhand eines Raumes erklären?
Der Flur ist ein gutes Beispiel. Es gibt ein Wohnbedürfnis, das heißt Selbstdarstellung – und die ist bei jedem Menschen ganz unterschiedlich stark ausgeprägt. Ist es mir wichtig, was andere dort sehen oder völlig egal? Natürlich hat dieses Zimmer aber automatisch etwas Repräsentatives, es steht ja auch für die ganze Wohnung. Die Diele ist wie ein Transferbereich zwischen außen und innen – für andere und für einen selbst. Es gibt das Zwiebelprinzip der Privatheit: Das, was am nächsten zur Tür ist, ist am wenigsten privat oder am wenigsten Rückzugsort. Deshalb wollen viele Menschen dort nicht ihr Inneres zeigen.
„Wohnpsychologie ist der Schlüssel zum glücklichen Wohnen“
Prinzipiell ist der Flur aber nicht nur ein Verkehrsweg, sondern ein Wohnraum. Der erste, wenn ich reinkomme und der letzte, wenn ich gehe. Dementsprechend viel Aufmerksamkeit sollte ich ihm auch schenken. Wenn es um die Gestaltung des Gangs geht, gibt es fünf Elemente, die ihn vollwertig machen: eine Sitzgelegenheit, eine Ablage, ein Spiegel, Licht und Kunst oder Deko. Dabei reicht an sich schon die Andeutung, denn Wahrnehmung funktioniert über Symbolik und Schlüsselreize. So kann der kleinste Hocker den Durchgang gefühlt schon in einen Wohnbereich verwandeln.
Welcher Aspekt ist in der Wohnpsychologie in Bezug auf die Einteilung einer Wohnung besonders wichtig?
Räume sollten eine Funktion und damit wiederum bestimmte Bedürfnisse erfüllen. Dazu ist es wichtig, Zonen festzulegen. Das geht nicht nur in Mehrraumwohnungen über klar voneinander abgetrennte Räumlichkeiten, also Schlafzimmer, Arbeitszimmer etc., sondern auch in Lofts, Studios oder kleinen Apartments immer über optische Hilfsmittel wie Teppiche, Raumtrenner oder Licht. So kann man sich auch als Paar in einem Raum nahe sein, also die Gegenwart des anderen spüren, trotzdem aber seinen Freiraum genießen. Je mehr Abstufungen es in einer Wohnung hinsichtlich Nähe und Distanz gibt, umso höher wird die Wohnqualität.
Apropos Paare: Gibt es ein Interior-Geheimrezept fürs Zusammenziehen?
Am wichtigsten ist, bevor Paare beispielsweise gemeinsam zum Einrichter gehen, dass jeder seine eigenen Bedürfnisse und seinen eigenen Geschmack definiert. Nachdem die Erkenntnisse kommuniziert wurden, bleiben Überraschungen aus und individuelle Interieur-Wünsche können in Ruhe aufeinander abgestimmt werden.
Als Magazin für textiles Wohnen interessiert uns natürlich auch, wie Stoffe auf die Psyche wirken …
Die Wirkung ist sehr groß, durch die Haptik und Funktion von Vorhängen oder Stoffen im Allgemeinen wird das Gefühl von Weichheit, Lebendigkeit und Gemütlichkeit vermittelt. So verändern Textilien den Charakter eines an sich harten, kalten Raums. Damit geht auch das Thema Farbe einher. Beim Betreten eines Zuhauses nehmen wir die Räume hauptsächlich visuell wahr, allerdings spielen auch der Geruchssinn und die Akustik, die einen wesentlichen Einfluss auf die häusliche Kommunikation hat, eine wichtige Rolle in der unmittelbaren Wahrnehmung eines Ortes.
Und zum Abschluss: Welche Interior-Veränderung hat für Sie persönlichen einen gravierenden Unterschied gemacht?
Darauf kann ich Ihnen eine ganz präzise Antwort geben: Die beste Entscheidung war, als ich vor drei Jahren beim Umzug in meine jetzige Wohnung eine Wand dunkelgrün gestrichen habe. Damit habe ich Farbe und starke Farbkontraste für mich entdeckt und nun ein ganzes Farbkonzept, das die einzelnen Räume miteinander verbindet, über mein Zuhause gelegt. Beim Anblick der Wand fühle ich mich, als ob ich am Rand eines Nadelwaldes sitze …
Haben Sie sich zwischendurch gefragt, ob Wohnpsychologie etwas mit Feng Shui zu tun hat? Mehr über die chinesische Harmonielehre erfahren Sie →hier.