Wir trafen die niederländische Designerin Hella Jongerius und sprachen mit ihr über die Arbeit mit Garnen und Farben, falsche Vorstellungen und die Bedeutung von Textilien.
Sie sind bekannt für die Auseinandersetzung mit Farben. Wie beurteilen Sie Textilien in diesem Zusammenhang?
Ich finde textile Gewebe gehören zu den schwierigsten Materialien im Umgang mit Farbe. Das liegt vor allem an ihrer Beschaffenheit: Da immer ein Garn über dem anderen liegt, gibt es keine glatte oder einheitliche Fläche. Die endgültige Farbe ergibt sich also aus dem optischen Mix von übereinander liegenden Fasern, welche nie hundertprozentig identisch sind. So entstehen immer wieder unterschiedliche Nuancen. Man muss jedes Mal zwei bis drei verschiedene Farbkombinationen testen, um das perfekte Endergebnis zu bekommen.
Es ist sehr anspruchsvoll den genauen Farbton vorherzusagen, auch für mich – und das obwohl ich seit 20 Jahren mit Textilien arbeite. Aber ich mag Herausforderungen! Außerdem ist es sehr spannend zu sehen, dass manche Gewebe aufgrund ihrer Materialzusammensetzung beispielsweise in Rot überhaupt nicht wirken, dafür aber in einem anderen Ton umso besser. Die Kür ist es, eine Nuance zu finden, die das Gewebe am besten widerspiegelt. Das macht die Arbeit mit Textilien so besonders für mich.
Sie haben sich kürzlich dagegen ausgesprochen, dass Polsterstoffe endlosen Testprozeduren unterzogen werden – wie wäre Ihre Idealvorstellung im Umgang mit Textilien?
Gerade bei Stoffen werden Unmengen von Chemikalien eingesetzt, um sie widerstandsfähig und markttauglich zu machen – eine unverhältnismäßige Verschmutzung! Garne können auch ohne Chemie weich werden, denn eigentlich zerstört diese das Material. Dafür sollte dringend ein Bewusstsein geschaffen werden. Aber dazu muss man den Menschen erst mal beibringen was Stoff ist: wie setzt er sich zusammen, wie fühlt er sich in seiner Ursprungsform an. Der Großteil ist an die Gewebe der Fast-Fashion oder günstiger Möbelketten gewohnt und kann mit natürlichen, unbehandelten Textilien gar nichts mehr anfangen.
„Man muss den Menschen erst mal beibringen, was Stoff ist!“
Genauso klammern sie sich an verzichtbaren Optionen wie der Waschbarkeit fest. Immer wieder höre ich, dass ein Bezugsstoff waschbar sein muss. Wenn ich die Menschen aber frage, wie oft sie ihren Sofabezug schon gewaschen haben, stellt sich heraus: kein einziges Mal!
Wir müssen uns davon loslösen immer auf die Optionen zu bestehen. Im Gegensatz zur Modewelt glaube ich aber, dass wir beim Thema Einrichtungsstoffen und Teppichen noch die Möglichkeit haben, etwas zu ändern und ein neuen Blick für Textilien zu schaffen.
„Unsere Welt wird immer digitaler – deshalb brauchen wir dringend die Optik und Haptik von Stoffen!“
Wie wichtig sind Textilien?
Ich starte im nächsten Jahr einen Master-Workshop, der sich mit dem Weben von Textilien beschäftigt. Ich habe leider das Gefühl, dass wir diese Fähigkeiten verlieren. Ich möchte eine Community bilden, die sich wieder mit dem Thema auseinandersetzt. Unsere Welt wird immer digitaler – deshalb brauchen wir die Optik und Haptik von Stoffen umso dringender. Sie bereichern unsere physische Welt auf eine besondere Weise.
Mein Vorteil ist, dass ich aus der Industrie komme. Die Menschen wissen: Wenn ich mich mit etwas beschäftige, ist das keine Nische – sondern etwas von Bedeutung. Und sie werden neugierig. Als ich meine Arbeit mit Farbe begann, waren viele zu Anfang sehr skeptisch. Jetzt habe ich ihre Aufmerksamkeit! Ich hoffe und glaube das gelingt mir auch mit dem Textilien.
Noch mehr Einblicke in Hella Jongerius Arbeit gibt es im unten angehängten Making Off Video zur Teppich-Kollektion von Kvadrat oder in unserem Artikel über ihre Installation in der neuen Sammlung München. Dort stellt sie sich der Frage: Gibt es noch Neuerungen im Design und braucht die Welt ständig neue Stuhl-Entwürfe?