Die digitale Kunst nimmt Fahrt auf: Wir zeigen spannende Beispiele und sprachen mit dem Künstler Vincent Schwenk über die künstlerischen Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Techniken oder KI.

Was ist eigentlich Kunst? Stellt man sich diese Frage, wird schnell klar, dass darauf schwer eine klare Antwort zu finden ist. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas jedenfalls definierte Kunst seiner Zeit als Kommunikationsmedium, mit dem Künstler ihre subjektive Welterfahrung ausdrücken. Gewöhnlich sind Kunstwerke also von Menschenhand erzeugt – eine Tatsache, die sich seit dem Aufkommen von Computern und Softwares gewandelt hat. Seit den 80er und 90er Jahren hat die digitale Kunst Einzug in den Kunstmarkt genommen und nimmt mit den Möglichkeiten frei zugänglicher KI-Systeme gewaltig Fahrt auf.

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Für Moooi designte Andrés Reisinger Pollination of Hortensia, eine Serie von digitalen Kunstwerken, die als Teppich-Kollektion zum diesjährigen Salone del Mobile gelauncht wurden.

Soziale Medien und digitale Kunst

Andrés Reisingers Kunstinstallation „Take Over“ wurde auf Social Media zum Highlight. Flauschige, puderfarbene Stoffe eroberte die Hauptstädte und legten sich über Wandfassaden und Gebäude. Reisinger wollte Viewer:innen damit anregen, zu hinterfragen, was Kunst für sie denn eigentlich bedeutet. Indem die Serie über die sozialen Medien für alle zugänglich ist, sollte sie gleichzeitig zeigen, wie digitale Kunst ein neues Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit erzeugen kann.

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Winter in New York: Andrés Reisinger kleidet Hausfassaden der Stadt mit dickem, rosafarbenen Fell. (Foto: Andrés Reisinger)

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Und auch vor den Fassaden Londons machen die flauschigen Stoffe nicht halt. (Foto: Andrés Reisinger)

Refik Anadol interpretiert mit künstlicher Intelligenz die Kunstsammlung des MoMA neu

Auch das MoMA ist neugierig und arbeitete mit dem Digitalkünstler Refik Anadol zusammen, um die eigene Sammlung im Rahmen der Ausstellung Unsupervised durch künstliche Intelligenz neu interpretieren und transformieren zu lassen. „Das Projekt verändert die Beziehung zwischen dem Physischen und dem Virtuellen, dem Realen und dem Unwirklichen“, sagt Michelle Kuo, Kuratorin für Malerei und Skulptur des MoMA. „Oft wird KI eingesetzt, um realistische Darstellungen der Welt zu erfassen, zu verarbeiten und zu erzeugen. Anadols Arbeit hingegen erforscht Träume, Halluzinationen und Irrationalität. Damit stellt sie ein alternatives Verständnis moderner Kunst und des Kunstmachens selbst infrage.“

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Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz lässt Refik Anadol die Sammlung des MoMA transformieren. Fragestellung: Was würde eine Maschine träumen, nachdem sie die Sammlung gesehen hat? (Foto: Refik Anadol)

Was digitale Kunst für den Kunstmarkt bedeutet

Während sich die Kunst früher vorwiegend über die Art der Ausführung und das handwerkliche Können ausgezeichnet hat, stehen heute vielmehr die Idee und deren Realisierung im Vordergrund. Genau das gibt dem ganzen Konzept der Kunst eine noch größere Freiheit, die auch für den 3D-Künstler Vincent Schwenk eine maßgebliche Rolle gespielt hat. „3D fasziniert mich besonders, weil ich nicht begrenzt bin.“, sagt Schwenk. „Alles, was ich mir vorstellen kann, kann ich auch erschaffen. Zwar kreiere ich meist futuristische und animierte Skulpturen, die keinen direkten Bezug zur Realität haben. Doch indem ich reale Materialien und Texturen verwende, gelingt mir der Spagat zwischen Abstraktion und realer Welt.“

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Die Render von Vincent Schwenk dienen als Ausgangspunkt für weitere Werke, die der Künstler mit einer KI generieren lässt. (Foto: Vincent Schwenk)

Doch digitale Kunst wird auch häufig kritisiert. Etwa aus der Angst heraus, dass technologische Werkzeuge die künstlerische Arbeit ersetzen oder dass ein Mangel an Originalität entsteht. Schwenk sieht das anders: „Digitales Zeichnen und Malen ermöglicht Künstler:innen ihre kreativen Ideen schneller und einfacher umzusetzen, was schlichtweg bedeutet, dass digitale Kunst eine größere Vielfalt ermöglicht und auch andere Ausdrucksformen bietet. Aber es ist wichtig zu sagen, dass beispielsweise künstliche Intelligenz kein Ersatz für kreatives Denken ist. Es kann Künstler:innen dabei helfen, inspiriert zu bleiben, doch ist Kreativität immer noch eine menschliche Eigenschaft, die nicht durch KI ersetzt werden kann.“

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Organische Bewegungen, Strukturen und frische Farben ergeben ein weiteres Render von Vincent Schwenk, das zugleich das Branding eines deutschen Weines ist. (Foto: Vincent Schwenk)

Digitale Kunst und die Debatte um Originalität

Ein wichtiger Punkt, der auch verhindert, dass die Originalität verloren geht: „Die kreative Vision kann KI nicht ersetzen und auch nicht die Persönlichkeit oder Emotionen eines Künstlers wiedergeben.“, sagt Schwenk. Es geht also nicht nur um geistiges Eigentum und Urheberrecht, sondern vielmehr darum, wie und mit welcher Geschichte oder Erfahrung ein Werk entstanden ist.

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Eine Nudelsuppe diente als Ausgangspunkt dieses Renders, das von einer KI generiert wurde. (Foto: Vincent Schwenk)

Kunst und künstlich? Schließt sich nicht aus

Was bedeutet nun die Digitalisierung der Kunst? Festzuhalten ist, dass digitale Tools wie künstliche Intelligenz auch tatsächlich als ein Werkzeug gesehen werden sollten, das dabei hilft, die Bilderstellung effizienter zu machen. Auch ermöglicht digitale Kunst eine neue Freiheit in Bezug auf die kreative Darstellung, die mitunter bereits zu fesselnden und faszinierenden Werken geführt hat.

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Der 3D-Künstler Vincent Schwenk aus Hamburg.

Exkurs: NFTs und der Kunstmarkt

NFT ist eine Abkürzung, die uns zwar innerhalb der vergangenen Jahre häufig begegnet ist, von der allerdings die wenigsten wissen, was sie wirklich bedeutet. NFT steht für „Non-fungible Token“ und ist ein digitaler Besitznachweis, zum Beispiel eben für ein digitales Kunstwerk, aber auch Musikstück oder Video. Verkauft werden die digitalen Werke auf Online-Plattformen mit Hilfe von sogenannten Blockchains, wobei jeder Token der für den Kauf genutzten Kryptowährung (dem Zahlungsmittel von Blockchains) individuell nummeriert ist. Das zeigt an, mit welchem Kunstwerk und Besitzer ein Token verbunden ist.

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Ein weiteres Projekt von Vincent Schwenk, das mit Open AI entstanden ist. (Foto: Vincent Schwenk)

Auch wenn digitale Künstler nun die Möglichkeit haben, ihre Werke einfach zu verkaufen, gibt es einen Knackpunkt: der NFT ist lediglich der Eintrag auf der Blockchain mit Verweis auf das dazugehörige, originale Kunstwerk, vergleichbar mit einem Echtheitszertifikat. Das digitale Kunstwerk an sich ist im Internet jedoch noch frei verfügbar und reproduzierbar. Der Besitz eines NFTs ist also nicht gleichzusetzen mit einem Copyright und hat eher einen emotionalen, subjektiven Wert. Auch verbrauchen NFTs und die damit verbundenen Blockchain-Systeme viel Energie, sodass dieses Verkaufsmodell nach einem schnellen Hype unbeliebter geworden ist.