Das Designduo Les Crafties aus Brüssel bringt mit Stoff-Collagen explosive Muster an die Wand. Mit lebendigen Farben erwecken die beiden jungen Frauen Landschaften zum Leben – manchmal illustrativ, manchmal abstrakt – und spielen mit dem Licht im Raum. Wie die Muster der Patchwork-Künstlerinnen entstehen, warum Textilien so oft unterschätzt werden und was sie mit französischem Rap verbindet.
Die Kraft der Textilien
„Wir finden, dass Textilien sehr mächtig sind. Nur leider werden sie oft einfach unterschätzt“, so Marie Marie Vergne und Jeanne Martin-Taton, die beiden kreativen Köpfe hinter dem Brüsseler Duo Les Crafties, über ihr liebstes Medium. All ihre Kunstwerke sind handgemacht und stellen Textilien in den Mittelpunkt ihres Schaffensprozesses. Während Stoffe für andere oftmals nur ein Mittel zum Zweck, eine Dekoration oder eine haptische Oberfläche ist, lieben die beiden es, mit ihm zu spielen und seine Fähigkeit für Wärme zu nutzen, um einen Ort zu kleiden. „Es ist wichtig, in Räumen zu leben und aufzuwachsen, die man mag und die einem etwas Positives vermitteln. Deshalb versuchen wir, unsere Wandteppiche als Fenster zur Fantasie zu gestalten.“
Wandteppiche und Co. im Finale der Design Parade
Kennengelernt haben sich die Geschäftspartnerinnen vor 13 Jahren an der Hochschule für angewandte Kunst. Dort studierten sie Textildesign in Paris, bzw. Lyon. 2018 begonnen sie zusammenzuarbeiten, als beide im Finale des Innenarchitekturwettbewerbs Design Parade in Toulon waren. Schon ihre Installation von damals vergleichen sie mit einer Landschaft: Wilde Muster bekleideten Liegestühle, Zeitschriftenständer und einen Paravent. Die Kunstwelt zog die zwei jungen Belgierinnen auf wie ein Sog. Schon früh wurden sie durch Referenzen in allen kreativen Bereichen genährt und entschieden sich, ihre Kenntnisse für die Textilbranche zu vertiefen. Sie sahen es als offen stehende Tür, ihre Leidenschaft auszuleben und zugleich der Bildenden Kunst nahe zu bleiben.
Über die Kunst der lebendigen Unterhaltung
Arbeiten die Künstlerinnen an neuen Projekten, beginnt das meist mit einer angeregten Diskussion. Bevor sie zu Nadel und Faden greifen, gibt es ein umfassendes Brainstorming zum Thema – jeder bringt seine eigenen Ideen aus unterschiedlichen Einflüssen mit – sozusagen ein Mix aus beiden Identitäten, die den Crafties-Stil ausmachen. „Jeder kann seinen Teil dazu beitragen. Selbst wenn dabei mal zwei Welten kollidieren … dann sieht man das eben im Design. Das macht es für uns auch spannend“, so Marie Marie Vergne.
Neues auszuprobieren, heißt auch Altes zu studieren
Ihre Inspiration finden die beiden oft in alten Bezügen zu Alltagssituationen. Das können Wandteppiche aus dem 20. Jahrhundert oder alte Stiche aus Büchern sein. Auch das tägliche Leben ist für sie Antwort auf viele Designfragen. Dann tauchen sie tief in den Kontext ein, betreiben Materialforschung, zeichnen und experimentieren mit verschiedenen Werkstoffen. Neue Muster entstehen meist aus dem Wunsch, etwas Neues auszuprobieren: Eine Technik, einen Maßstab, ein Thema oder eine Fortsetzung einer früheren Kreation. Dabei behalten sie immer die Geschichte dazu im Hinterkopf und es entsteht eine Art kaleidoskopischer Blickwinkel. „Erst nach und nach zeigt sich ein Gesamtkunstwerk, das sich auf jeder Fläche verteilt und selbst zum Volumen wird.“
Same same, but different
Wer denkt, dass Künstler bei ihrem Schaffen wenig Alltag kennen, der liegt falsch. Ganz im Gegenteil: Ein typischer Tagesrhythmus ist Jeanne Martin-Taton und Marie Marie Vergne sehr wichtig: „Gegen 9 Uhr treffen wir uns im Studio, schreiben ein paar E-Mails und planen den Tag. Klar sieht dabei keiner so aus wie der andere. Trotzdem hilft uns ein geregelter Ablauf dabei, Zeit für die Ideenfindung zu schaffen.“ So versuchen sie immer zwischen Produktion und kreativen Arbeiten abzuwechseln. Ein Tag kann dabei aus einem Skype-Meeting, Brainstormings zu einem neuen Projekt, der Beschaffung von Textilien und der Entwicklung einer Farbpalette bestehen. Anschließend wird im Atelier dann ein Stück produziert. Mittags legen sie jedoch Wert auf eine Pause – dann kochen und essen sie gemeinsam. 18.30 ist Feierabend. Nur in lauen Sommernächten arbeiten die zwei gern mal etwas länger und verlegen das Atelier nach draußen.
Woraus die Künstlerinnen Energie für den Tag ziehen? Nicht etwa aus einer großen Tasse Kaffee – die Beiden lieben französischen Rap und gestalten sich täglich Playlists von den 90ern bis heute. „In unserem normalen Leben fernab der Kunst würde ich diese Musik nie einschalten!“, gesteht Jeanne Martin-Taton, „Während einer Produktion hält sie uns aber am Laufen – wie ein gut geöltes Fließband.“
Text: Sabrina Holland / Fotos: Emile Barret